Während sich der Großteil der Wintersportler eher mit einem Schneebrett oder Powderlatten unter den Füßen ins Backcountry aufmacht, zieht es einen kleinen Teil davon wegen etwas ganz anderem in die entlegensten Ecken unseres Erdballs: Sie sind auf der Suche nach glitzernden Eiswänden, die sich zumeist am Fuß vergletscherter Berge befinden und mitunter eine Neigung zwischen 40° und 90° aufweisen. Diesen rücken sie dann mit Steigeisen, Eispickeln und Eisschrauben bewaffnet zu Leibe, um sich einen möglichst direkten Weg nach oben zu bahnen. Neben der obligatorischen Sicherheitssausrüstung (Kletterseil, Klettergurt, Helm) kommen dabei auch spezielle Eiskletterschuhe zum Einsatz, die mit einer verstärkten und steigeisenfesten Sohle ausgestattet sind. Sie bieten beim Klettern im Eis wie auch am Fels mehr Stabilität und sorgen für eine verbesserte Kraftübertragung. Darüber hinaus sind die Schuhe deutlich wärmer gefüttert als herkömmliche Wandersstiefel.
Trotz des milden Winters haben wir uns im vergangenen November in den Kopf gesetzt, gleich mehrere voll steigeisenfeste Bergschuhe testen zu wollen. Doch soviel vorweg: Für einen adäquaten Einsatz konnten wir kaum passende Bedingungen vorfinden, was uns zu dieser Zeit noch nicht so wirklich bewusst war. Nichtsdestotrotz hat sich unser Gastautor und Profi-Fotograf Sebastian Stiphout auf die Suche gemacht und die beiden Modelle Hanwag Eclipse II GTX und Salewa Pro Guide bei jeder sich bietenden Gelegenheit getragen, um einen zumindest ansatzweise akuraten Testbericht abliefern zu können. Der absolute Extremeinsatz in einer hart gefrorenen Eiswand blieb ihm leider bis zuletzt verwehrt.
Über die Disziplin Eisklettern:
Die Disziplin des Eiskletterns zählt zu einer der ältesten Bergsportarten überhaupt und ging ursprünglich aus der alpinen Kletterei hervor. Inzwischen gibt es neben dem reinen Eisklettern an natürlichen Eiswänden wie bspw. gefrorenen Wasserfällen auch eher sportlich orientierte Disziplinen, bei denen sich Athleten in der Manier eines Speedclimbers an künstlich angelegten Hindernissen in die Höhe ackern. Hinzu kommt noch das sogenannte Dry-Tooling, bei dem mangels Eis auch felsige Passagen überwunden werden müssen. Das klasische Eisklettern hingegen erfordert sowohl Kenntnisse im alpinen Klettern am Fels als auch Sicherungs- und Klettertechniken an Eiswänden. Aufgrund der unterschiedlichen Beschaffenheit des zu bekletternden Untergrunds zählt die Disziplin somit zu den verhältnismäßig gefährlichen Aktivitäten im Bergsports, da das Eis unter widrigen Umständen und ohne Vorwarnung abbrechen kann.
Winterbergstiefel im Vergleich zu klassischen Wanderschuhen
Die von uns getesteten Bergstiefel sind für winterliche hochalpine Bedingungen konzipiert und dank ihrer Isolierung auch für Expeditionen und Hochtouren in den Anden, den Rockies oder anderen hohen Gebirgen der Welt gedacht. Die getesteten Modelle sind allerdings keine alpinistischen Allround-Bergschuhe, die das ganze Jahr über zum Einsatz kommen. Denn dank der zusätzlichen Isolationsschichten würde man bei sommerlichen Temperaturen vermutlich buchstäblich im „eigenem Saft“ stehen und sich beim gemütlichen Wandern irgendwann wünschen, weniger Gewicht an den Füßen mitzuschleppen. Zudem sind sowohl Sohle als auch Schaft weitaus weniger flexibel als es bei klassischen B/C-Wanderschuhen der Fall ist und dürften auf längeren Wanderstrecken eher für Unmut anstatt für entspanntes Gehvergnügen sorgen. Auf Touren in hochalpinem Gelände, an steilen Eiswänden oder für winterlichen Expeditionen erfüllen sie aber durchaus ihren Zweck. Dabei schützen sie den Fuß nicht nur vor herunterfallenden Felsstücken und Erfrierungen, sondern sorgen auch für mehr Stabilität und Trittsicherheit beim Ab- wie auch beim Aufstieg.
Beide Bergstiefel im direkten Vergleich
Nebeneinander betrachtet, fällt sofort der unterschiedliche Charakter der beiden Modelle auf: Während der Pro Guide von SALEWA in Schwarz und Neongelb aggressiv und aufgrund seines schlanken Designs eher sportlich daherkommt, erinnert der Eclipse von Hanwag mit seiner dickeren Isolierung und dem Silber-farbenen Leder eher an einen normalen Bergschuh mit höheren Ambitionen. Was uns allerdings etwas überraschte, ist der Fakt, dass beide Schuhe in punkto Gewicht kaum merkbare Unterschiede aufweisen – obwohl der Hanwag auf den ersten Blick weitaus schwerer und klobiger wirkt. Dieser deutliche optische Unterschied spielt jedoch hinsichtlich der Funktion keine Rolle. Auch nicht im Hinblick auf den letztendlichen Verwendungszweck, denn da beeinflussen Preis und Aussehen solcher Bergstiefel kaum die Kaufentscheidung – zumindest nicht bei ambitionierten Bergsportlern.
Voll-steigeisenfest und klassisch geschnürt
Beide Schuhe sind steigeisenfest und somit für die Verwendung von Vollautomatik-Steigeisen gedacht. Soll heißen: Wie bei einer Skibindung kann der Bergsportler in die Steigeisen einsteigen und direkt an der versteiften Vibram-Sohle befestigen. Im Gegensatz zu Modellen mit Körbchenaufnahme brauchen faktisch nur noch die Fixierriemen festgezogen werden und los geht’s mit dem Kletterabenteuer. Beide Stiefel verfügen zudem über einen gummierten Geröllschutz am Rand, der vor scharfkantigen Steinen und den Zacken der Steigeisen schützen soll. Ebenfalls weisen beide Schuhe eine klassische Schnürung auf, und lassen sich dank Klemm-Haken unterschiedlich fest schnüren – bei SALEWA in 3 Zonen, bei Hanwag in 2 Zonen. Je nach persönlicher Vorliebe kann der Träger dadurch die Passgenauigkeit am Vorderfuss und am Schaft je nach Bedürfnis regulieren: So empfiehlt es sich zum Beispiel beim Abstieg, die Schnürung am Vorderfuß recht eng vorzunehmen, damit die Füße beim Bergablaufen nicht nach vorne rutschen und die Zehen am Innenschuh anstoßen. Beim Aufstieg verhält es sich logischerweise exakt umgekehrt.
Ein häufig auftretendes Problem bei voll-steigeisenfesten Bergschuhen ist der eher steife Tragekomfort und das Herausrutschen der Fersen beim Laufen. Festes Schnüren hilft da nur bedingt, weil dann der gesamte Fuß vom Schuh zu fest umschlossen wird – Blasen und unbequemer Tragekomfort können die Folge sein. Nicht so beim Eclipse von Hanwag, der über eine sogenannte „Heel Fix“ Technologie verfügt. Ein biegbarer Alubügel kann je nach Wunsch „zusammengekniffen“ werden, um der Ferse besseren Halt zu geben. Eine sehr einfache, aber eben genauso effektive Lösung, die deutlich zu spüren ist. Demgegenüber besitzt der SALEWA Pro Guide ein Merkmal, das ihn von fast allen anderen Bergschuhen am Markt differenziert – das patentierte „Flex System“. Je nach Wunsch und Einsatzgebiet lässt sich damit die Schuhleiste entweder zu 100% versteifen (zB. um Eisklettern mit Steigeisen) oder flexibel einstellen, wenn man beim Zustieg zur Wand auch mal ein gutes Stück (nur) wandern muss. Allein durch diese Funktionalität erhöht sich der Tragekomfort enorm.
Winterbergstiefel – Hanwag ECLIPSE II GTX
Der Eclipse wurde insbesondere für kalte Einsätze konzipiert und isoliert laut Hanwag nach DIN-Norm bis zu Temperaturen um die -15° C. Wir haben den Schuh auf einer „sehr kalten“ Tour im Winter getragen, bei der das Thermometer zum Teil auf gut -20°C fiel. Dennoch hielten uns die Schuhe schön mollig warm – wobei dieser Eindruck natürlich subjektiv ist und bei jedem Träger unterschiedlich ausfallen kann. Auch die Passform überzeugte, weshalb der Tragekomfort als sehr gut bewertet werden kann – zumindest für den Fuß von Sebastian (normaler Fuß, kein Plattfuß oder sonstiges). Die Schnürung lässt sich dank der sogenannten „click clamp“ – einer Öse, über die sich die Schnürsenkel festklemmen lassen – in zwei Zonen unterschiedlich fest schnüren und die Ferse dank dem biegbaren kleinen Bügel wunderbar fixieren. Dadurch saß der Eclipse im Einsatz jederzeit optimal am Fuß.
Unser Fazit: Was uns persönlich am Eclipse gut gefiel, ist seine äußerst gute Passform, die simplen aber effektiven Anpassungsmöglichkeiten zum Fixieren des Fußes und die guten Isolationseigenschaften. Auch den umlaufenden Geröllschutz bewerten wir positiv, da dieser den gröbsten Verschleiß verhindert. Auch der etwas kürzer gehaltene Schaft zeigte sich gerade beim Eisklettern als recht vorteilhaft, da man die filigranen Frontzacken in eher athletische Positionen bringen kann – ohne vom hohen Schaft dabei behindert zu werden. Optisch überzeugt der Winterboot vor allem durch sein dezentes Design. Auch wenn der Eclipse etwas klobig wirkt, am Fuß fühlt er sich alles andere als riesig an und weiß durchaus seine Stärken auszupsielen – egal ob am Fels, im Schnee oder mit Steigeisen direkt im Eis.
(Winter-)Bergstiefel – SALEWA Pro Guide
Der Pro Guide von SALEWA ist ein Schuh, der aktuell zu den wohl interessantesten Modellen am Markt zählt. Dafür sorgen allein zwei Besonderheiten: Zum Einen wird der Schuh in zwei unterschiedlichen Breiten angeboten, was wohl vor allem für plattfüßige Alpinsportler von Vorteil sein dürfte. So bietet das „Wide“-Modell ganze 4mm mehr Platz in der Breite, was sich in punkto Tragekomfort enorm bemerkbar macht. Die zweite Besonderheit ist das patentierte „Flex System“, dank dessen der Träger – und mithilfe eines Imbusschlüssels – die Sohle je nach Einsatzgebiet individuell einstellen kann. So lässt sie sich zB. zum Eisklettern komplett versteifen oder alternativ zum Wandern in den flexibleren „Walk“-Modus verstellen. Dadurch verspürt man beim Gehen einen zusätzlichen Flex, der sich vor allem beim Wandern positiv, aber dennoch nicht als Turnschuhfeeling bemerkbar macht. So oder so bleibt der Pro Guide aber ein fester und steifer Bergstiefel, der dank der flexibleren Sohle auf längeren Touren ein deutliches Plus an Komfort bieten kann. Die Schnürung des Pro Guide lässt sich mithilfe der Klemmösen in drei Zonen aufteilen und dadurch optimal an die eigenen Bedürfnisse anpassen. Ein zusätzliches Feature ist der hohe Schaftabschluss aus Neopren, der über einen Kordelzug direkt an der Wade festgezurrt werden kann – ohne die Bewegungsfreiheit zu beeinträchtigen. Somit kann kein Schnee oder herabrieselnde Steinchen in den Schuh gelangen und werden zusäztliche Gamaschen obsolet.
Unser Fazit: Als positiv fiel uns vor allem die Vibram-Sohle auf, die über supergriffige und überraschend feinfühlige Eigenschaften verfügt. Ein kleines, aber dennoch praktisches Detail, da man dadurch beim Klettern selbst auf kleinsten Tritten noch gut Halt findet und somit im Vorstieg durchaus agil bleibt. Einziges Manko ist die Wärmeisolation. Laut SALEWA ist der steigeisenfeste Schuh mit Gore-Tex Duratherme XL Material isoliert, das locker Minusgrade von bis zu -20°C wegstecken soll. Dennoch hatten wir bereits bei -5C in Eis und Schnee den ganzen Tag über kalte Füße. Ein weiteren kleinen Kritikpunkt betrifft das Flex-System: Für das Verstellen wird immer ein dazu passender Imbusschlüssel benötigt, der gerne einmal verloren geht oder daheim vergessen wird. Hier würde sich unserer Meinung nach eher ein Schlitz anstatt einer Imbusfassung anbieten, um das System auch mithilfe einer Münze, eines Taschenmessers oder einem anderen Objekt verstellen zu können. Ansonsten aber ist der Pro Guide für den Einsatz bei Eis- oder Mixed-Klettereien sowie auf winterlichen Hochtouren auf alle Fälle zu empfehlen. Wer jedoch länger oder öfter bei Temperaturen jenseits der -10°C unterwegs ist, sollte sich nach einem wärmeren Modell umschauen.
Text und Bilder: Sebastian Stiphout