Gleich zweimal musste der Extrembergsteiger David Göttler in diesem Jahr eine Expedition an einem 8.000er abbrechen und ohne Gipfelerfolg den Rückzug antreten. Während der gebürtige Starnberger im März 2014 die mit Simone Moro bereits im Dezember 2013 gestartetete Winterbesteigung des Nanga Parbat aufgrund widriger Wetterbedingungen nach drei vergeblichen Versuchen für aussichtlichslos erklärte, schaffte er es am Mount Everest nicht einmal mehr bis zum Basislager. Denn aufgrund des schlimmsten Lawinenunglücks in der alpinen Geschichte des höchsten Berges der Welt und des daraus resultierenden „Generalstreiks“ der nepalesischen Bergsteiger sagte ein Großteil der kommerziellen Expeditionen und scheinbar auch die Regierung alle geplanten Besteigungen für die Saison 2014 ab. Somit blieb das „Dach der Welt“ auch David Göttler verwehrt, der ursprünglich dort „Urlaub machen“ und nach dem Lhotse und dem Nuptse nun auch den 8.848m hohen Gipfel über die Normalroute besteigen wollte. Wir haben den sympathischen Alpinisten kurz vor seiner Abreise nach Nepal in München getroffen und über seine abgebrochene Winterexpedition am Nanga Parbat, das Scheitern und den Erfolgsdruck am Berg gesprochen.
Wie fühlt es sich an, wieder zurück in München zu sein und – anstatt den Triumph einer erfolgreichen Winterexpedition zu genießen – bei 15 Grad ein Eis zu essen?
Es fühlt sich einfach großartig an, vor allem hier in München in der Sonne zu sitzen und die warmen Sonnenstrahlen genießen zu können. Aber noch viel mehr habe ich mich auf meine Freundin gefreut. Immerhin war ich ja rund 9 Wochen ununterbrochen und im Schnee unterwegs, da freut man sich am Ende natürlich vor allem auf eine erfrischende Dusche, frische Klamotten und normales Essen. Denn zugegeben, selbst das beste italienische Gericht hat man nach so langer Zeit dann irgendwann doch ein wenig über (lacht).
Hand aufs Herz: Hattest du dich mental schon auf ein feierliches Empfangskomitee am Flughafen eingestellt?
Natürlich habe ich mich mit diesem Gedanken auseinandergesetzt und sicherlich wäre es bei einem Erfolg auch so gewesen. Aber das stand ja nie so wirklich im Vordergrund. Unser größtes Ziel war die erste Winterbesteigung des Nanga Parbats und nicht in erster Linie, alpine Geschichte zu schreiben. Aber auch so war das öffentliche Interesse an unserer Expedition enorm groß. Unmittelbar nach unserer Rückkehr nach Islamabad landeten wir zum Beispiel in einer Talkshow, trotz Abbruch.
Was für Bedingungen herrschten eigentlich am Berg? Schaut man sich die Bilder aus dem Basecamp an, schien entweder die Sonne oder es hat geschneit.
Das Wetter war leider nicht wirklich optimal, wenn man im Winter überhaupt von optimal sprechen kann. Zumindest mussten wir auf die wenigen Wetterfenster hoffen. Doch selbst an guten Tagen blies uns der Wind mit gut 40 km/h um die Ohren und herrschten am Berg bis zu -30 Grad – mit Windchill-Effekt sind das schnell mal gefühlte -50 Grad. Im Basecamp selbst war es tagsüber ziemlich angenehm und wir haben uns die Zeit mit Trainingsübungen oder der Berichterstattung vertrieben.
Wie schwer ist es Simone Moro und dir eigentlich gefallen, die Expedition nach den drei Versuchen abzubrechen?
Die Enttäuschung war natürlich schon sehr groß, keine Frage. Aber das ist glaube ich normal und kennt einfach jeder, der etwas mit Leidenschaft tut – nicht nur im Bergsport. Vor allem, wenn du dann dort oben am Berg stehst und darüber nachdenkst, ob du abbrechen sollst oder nicht. Dann kommen dir ganz automatisch solche Gedanken in den Kopf: 9 Wochen warten, Strapazen ohne Ende, und dann einfach abbrechen? War es das jetzt wirklich wert? Aber im nächsten Moment musst du das alles ablegen und den Kopf frei bekommen, um dich mental auf den sicheren Abstieg fokussieren zu können. Unten im Basislager angekommen nagt es dann natürlich wieder an einem und du fragst dich, ob du hättest mehr Risiko eingehen sollen. Zum Glück war das Wetter dann einfach auch zu schlecht, sodass wir diese Gedanken gar nicht erst vertiefen konnten. Aber im Nachhinein bin ich mir sicher, dass es auf keinen Fall verlorene Zeit war oder ich irgendetwas bedauern muss.
Gehört Scheitern zum Beruf des Profi-Alpinisten einfach dazu oder kratzt es doch irgendwie an der Bersteiger-Ehre?
Das musst du lernen und auch lernen zu akzeptieren, sonst bist du in diesem Expeditionsbergsteigen einfach fehl am Platz und hast auch keinen Spaß daran. Und wenn ich rückblickend auf meine ganzen Projekte zurückschaue, dann war ich in 50% der Fälle nicht erfolgreich. Ich kann mich noch gut an die Expedition zum Gauri Shankar mit Stefan Glowacz erinnern, bei der wir es gerade einmal bis zum Einstieg geschafft haben und dann abbrechen mussten. Das war natürlich total deprimierend. Aber viel wichtiger ist es doch am Ende, was man dabei mitnimmt an Erfahrungen, Eindrücken bzw. neuen Erkenntnissen. In diesem Sinne bringt dich jede gescheiterte Expedition irgendwie weiter.
Was waren letztendlich die Hauptgründe dafür, dass ihr die Zelte abbrechen musstet – war der Berg schlichtweg unbezwingbar?
Nunja, nach 9 Wochen am Berg baut der Körper einfach kontinuierlich ab und du bist nicht mehr so fit wie noch am Anfang, das ist ganz klar. Und nach unseren drei Versuchen hätte uns am Ende schlichtweg die Zeit nicht mehr dafür gereicht noch einen weiteren Versuch zu starten. Uns war also klar, dass wir danach wieder den Heimweg antreten. Schließlich hätten wir noch einmal eine Erholungsphase von rund 6 Tagen benötigt. Im Hinblick, dass der Winter 10 Tage später auch schon zu Ende gewesen wäre, der ja Voraussetzung für das Gelingen dieses Projekts gewesen ist.
Überrascht es dich im Nachhinein betrachtet, dass Simone Moro aufgeben musste, während du dich – als eher unerfahrener Winteralpinist – weiter den Berg hinaufgekämpft hast?
Nunja, das war ja eher ein unglücklicher Zufall, dass er gerade dort eine Magenverstimmung bekommen hatte. Es hätte ja genauso auch mir passieren können. Aber auch sonst bin und war ich schon immer auf dieser Höhe recht gut unterwegs – der einzige Unterschied zum Winter ist dann nur, dass die Temperaturen weitaus niedriger und die Tage definitiv kürzer sind. Aber so eine Magenverstimmung kann man einfach nicht einplanen. Nichtsdestotrotz war ich einfach gut vorbereitet und konditionell absolut fit. Es hätte also jeden von uns treffen können. Vielleicht war es aber am Ende auch der italienische Kaffee, den sich Simone Moro immer morgens gegönnt hat, wer weiß. (lacht).
Gab es einen Schlüsselmoment oder eine bestimmte Situation, wo für dich klar wurde oder war: Dieses Mal klappt es einfach nicht?!
Das war keine Entscheidung, die binnen Sekunden gefallen ist. In dem Moment aber, in dem wir das erste Mal auf die Diamir-Flanke blicken konnten, war für uns recht schnell klar: Der Weg bleibt weiterhin beschwerlich und auch die Zeit wird vom Wetter her einfach zu knapp. Und da wir bis dahin recht sicher unterwegs waren, haben wir (Anm. d. R.: David Göttler und der Pole Tomek Mackiewicz) dann unabhängig voneinander beschlossen, den Versuch an diesem Punkt abzubrechen und uns gar nicht erst in unnötige Gefahr zu begeben. Das alles geschah im Einvernehmen und ohne groß darüber zu reden.
Wie sah es in punkto Erfolgsdruck generell aus? War es eine zusätzliche Belastung, ständig medial mit der Welt verbunden sein zu müssen?
Also soviel vorweg: Druck bestand zu keiner Phase. Nicht vor, nach und erst recht nicht während der Expedition – weder durch die Medien noch die Sponsoren. Simone, ich oder andere Bergsteiger haben auch noch nie etwas davon mitbekommen, dass in irgendeiner Weise von jemandem Druck aufgebaut worden wäre. Wenn dann ist es ein Druck, den man sich selbst macht. Klar, man möchte schließlich den Sponsoren auch etwas zurückgeben. Druck von außen kommt da also keiner und schon gar nicht solche Kommentare: Hey, wenn du nicht erfolgreich bist, fliegst du aus dem Sponsorenvertrag. Und was das mediale betrifft: Es war das erste Mal für mich, dass ich soviel von unterwegs berichtet habe. Allerdings hat uns Emilio (Anm. d. Red.: Emilio Previtali war für die Berichterstattung zuständig) die meiste Arbeit abgenommen. Ohnehin fotografiere und filme ich einfach gerne, von daher ist das alles andere als eine Belastung. Nur von der Kälte her muss man wirklich vorsichtig sein, wenn man dort oben die Kamera auspackt. Bei -40 Grad sind da schnell mal die Finger kalt und bei solchen Temperaturen dauert es dann unglaublich lang, bis die Hände wieder aufgewärmt sind. Und klar, auf manche tolle Bilder muss man aus Sicherheitsgründen einfach auch mal verzichten können. Geplant sind aber auf jeden Fall zwei TV-Produktionen für Spanien und Italien. Und der Simone wird wohl noch eine Doku daraus zusammenschneiden, die dann evtl. auf der E.O.F.T laufen wird.
Mal ganz blöd gefragt: Hättest du eigentlich auch zur polnischen Expedition wechseln können oder verbietet das allein der alpine Anstand?
Im Grunde genommen war ich ja bereits mit der polnischen Expedition unterwegs. Einfach, weil wir uns die Arbeit wie auch die Freizeit am Berg geteilt haben. Die Jungs waren immerhin zwei Wochen vor uns am Nanga Parbat und haben erste Fixseile verlegt. Vermutlich wären wir ohne deren Vorarbeit gar nicht erst so weit gekommen. Allerdings muss ich zugeben, dass deren alpiner Kletterstil nicht so ganz zu uns passt. Die Polen sind wahre Kampfmaschinen, die weitaus länger in der Wand ausharren als wir es gewohnt sind. Wenn wir zum Beispiel ein Lager aufbauen, richten die Polen auf dem Weg dorthin noch zwei weitere Zwischenlager ein. Dadurch brauchten sie bspw. rund 8 Stunden bis Lager 1 während wir es in gut 4 Stunden erreichten. Simone und ich bevorzugen also eher den schnellen Alpinstil und den zügigen Rückzug – also rein, hoch, runter, raus, fertig – was weitaus weniger kräftezehrend ist und auch weniger Ressourcen erfordert. Das ich am Ende mit Tomek Mackiewicz als Partner unterwegs sein würde, war aber ursprünglich nicht wirklich geplant. Aber das Zusammenspiel zwischen beiden Teams hat mich sehr beeindruckt und habe ich in dieser Form auch noch nie erlebt.
Was ist eigentlich aus der polnischen Expedition eigentlich geworden?
Soweit ich weiß, sind sie noch im Basislager geblieben. Aber fünf Tage nach unserer Abreise sind sie beim Aufstieg zu Lager 1 in eine Lawine geraten, wobei zwei von ihnen verschüttet wurden. Zum Glück soll aber neben Rippen- und Beinbrüchen nichts Schlimmeres passiert sein. Allerdings nahmen sie diesen Vorfall dann auch zum Anlass, die Expedition abzubrechen. Scheinbar war es also doch gut, dass wir zum richtigen Zeitpunkt gegangen sind, um solch eine Situation gar nicht erst erleben zu müssen.
Simone Moro plant für 2015 einen weiteren Versuch am Nanga Parbat, bist du dann auch wieder mit von der Partie oder hast du andere, eigene Pläne?
Wir haben gemeinsam super Erfahrungen gemacht und viele wichtige Erkenntnisse für einen neuen Versuch am Nanga Parbat gewonnen, die uns beim nächsten Mal mit Sicherheit weiterbringen werden. Ob ich allerdings im Winter 2014/15 wieder dabei sein werde, muss ich mir erst noch überlegen. Ich will auf alle Fälle nochmal dorthin und definitiv auch noch einmal mit Simone etwas machen, keine Frage. Aber ich genieße einfach auch die Winter hier in Europa und in den Alpen. Und wenn ich wieder 9 Wochen unterwegs bin, dann verpasse ich jedes Jahr die komplette Wintersaison. Als nächstes geht’s aber erst einmal zum Mount Everest, um dort „Urlaub“ zu machen. Ganz klassisch, nur ohne zusätzlichen Sauerstoff – das ist für mich Herausforderung genug. Ich bin also ganz allein für mich unterwegs, mit den rund 650 anderen Bergsteigern (lacht). Und wenn es klappt, dann habe ich mir zumindest einen persönlichen Traum erfüllt. Denn neben dem Lhotse stand ich auch schon auf dem Gipfel des Nuptse. Außerdem arbeitet meine Freundin im Basislager des Everest als Expeditionsärztin, die ich gerne begleiten möchte.
Abschließend noch eine private Frage: Hast du den aktuellen Kinofilm von und mit David Lama gesehen!? Und wenn ja, siehst du Parallelen zu eurer eigenen Expedition? Vor allem vor dem Hintergrund von David Lamas Aussage, dass dieser Berg ihn in vielerlei Hinsicht verändert hat!?
Den Film von David Lama habe ich leider noch nicht gesehen, von daher kann ich hierzu keine Aussage treffen. Aber klar, wenn du aus der Halle kommst, das verändert dich dann schon sehr. Verändert hat mich der Nanga Parbat dann eher nicht. Da hat mich das Erlebnis Ama Dablam weitaus mehr beschäftigt und getroffen (Anm. d. Red.: 2010 stürzte ein Rettungshubschrauber, der Göttler vom Nordgrat ausfliegen sollte, rund 1000m in den Abgrund).