Könnt ihr euch noch an die Zeit erinnern, als einem ganz schlecht wurde, wenn man nach Italien in den Urlaub musste? An den Gardasee. Oder nach Venedig. Oder nach Südtirol. Ach geh! Das war doch furchtbar! Ein 270 Kilometer langer Stau, direkt von der heimischen Garage über die A8 durchs gesamte Inntal bis … ja bis wohin eigentlich? Bis zum Brenner. Bis zum Nadelöhr am Alpenhauptkamm. Was war das jedes Mal für ein Act! Uli Ertle war auf dem Sentiero della Pace, dem Friedensweg im Trentino, unterwegs und ist dort den historischen Spuren von Krieg und Frieden gefolgt – ein Gastbeitrag.
Weitwandern gegen das Vergessen – der Friedensweg im Trentino
Aufstehen um 3 Uhr, Abfahrt eine viertel Stunde später. Und trotzdem im Stau stehen. Ja, so war das mal. In einer Zeit, als die Länder, in denen die schönsten Berge überhaupt sind, noch eine irre Angst voreinander hatten und deshalb lange Staus produzierten. Weil einer dem anderen nicht über den Weg getraut hat. Und heute? Ich muss ganz ehrlich sein, heut hab ich selber Angst. Nicht vor den Italienern oder den Österreichern, nicht vor den Slowenen und schon gar nicht vor den Menschen, die von weit her kommen, weil sie in die Hölle überlebt haben und nun weg wollen, raus aus der Hölle – wohin auch immer. Ich hab Angst, wenn ich den Irrsinn betrachte, den so einige europäische Staatenlenker gerade anstellen. Ein Beispiel gefällig? Schauen wir einfach wieder zum Brenner.
Da bohren sie – unten im Fels – einen 64 Kilometer langen Tunnel für schlappe 12 Milliarden Euro. Und warum? Damit die Menschen und all die schönen Sachen, die die Menschen kaufen sollen, so schnell wie möglich von Italien nach Österreich und Deutschland und wieder retour kommen. Und gleichzeitig, also zur exakt gleichen Zeit, wie die einen da unten ihre riesigen Bohrer durch den Berg treiben, gießen die anderen oben, also 1.800 Meter über dem Tunnel, neue Fundamente für die Zollhäuschen. Die hauen zig Pfählen in den Boden, an denen ein 400 Meter langer Maschendrahtzaun festgemacht wird. Die bauen auch ein Dach, damit die Zöllner – ach ja: apropos Zöllner. Gibt’s die eigentlich noch? Gibt’s einen Ort, an dem man alte Zöllner gelagert hat, bis man sie wieder braucht? Vielleicht beim Ötzi in Bozen in seiner Gefriertruhe…? Naja, jedenfalls bauen sie denen ein Dach, damit die neuen oder die alten Zöllner nicht nass werden, wenn sie einem das Auto auseinander nehmen. „Habt’s an Kaffee dabei?“ … man erinnert sich mit Grausen.
Europa im Wandel – die unbegründete Angst vor Überfremdung
Ich glaub, jetzt sind wir Bergfexe gefragt. Was da grad passiert, das hat vor allem mit Angst zu tun. Angst vor dem anderen. Angst vor dem Fremden. Angst vor allem, was man nicht kennt. An diesem Punkt sind auch wir gefragt. Denn wir Berggeher und Kletterer, wir Mountainbiker, Tourengeher, wir haben – neben allen anderen Abenteurern – denen, die unten im Tal bleiben, vielleicht etwas Wichtiges voraus: Wir steigen auf, überwinden dabei (natürliche) Grenzen und erweitern so unseren Horizont.
Es gibt einen Weitwanderweg, den ich euch in dieser seltsamen Zeit gerne ans Herz legen möchte. Den Sentiero della Pace, zu deutsch: den Friedensweg. Dieser Weg ist Mitte des 20. Jahrhunderts angelegt worden, um daran zu erinnern, wohin engstirniges Denken, befeuert von Angst vor dem anderen, führen kann. Dieser Weg führt über alte Militärstraßen und Steige des Alpenkriegs entlang der alpinen Südfront des Ersten Weltkriegs quer durch die Dolomiten. Dort standen sich über mehrere Jahre italienische, deutsche und österreichische Soldaten gegenüber. In Felshöhlen und Gräben, auf Bergkämmen und in Festungen. Zum Teil über mehrere Jahre in einer Stellung. Um den anderen, den Fremden, der so gar nicht fremd ist, wenn man ihn mal kennen gelernt hat, bis aufs Blut zu bekämpfen.
Wenn man nun auf diesem Friedensweg durch die Dolomiten wandert, wenn man die Informations-Tafeln liest, den Irrsinn der Schützengräben anschaut und wenn man sich verdeutlicht, dass in dieser unfassbar schönen Bergwelt 150.000 junge Männer ihr Leben ließen, dann kommt – bei mir zumindest – ein ganz starkes Gefühl des „Nie mehr wieder“ und des „Wehret den Anfängen“ hoch. Vielleicht geht’s euch ja ähnlich? Dann nehmt ein paar ängstliche Leute mit auf diesen Weg. Es hilft. Und jetzt macht’s des Kisterl aus und geht’s wieder raus in die Berge!
In sieben Etappen auf den Spuren von Krieg und Frieden
Über 520 Kilometer zieht sich der Weitwanderweg Sentiero della Pace durch die reizvollen Landschaften des Trentino – immer entlang der ehemaligen Frontlinie. Dabei durchquert er eindrucksvolle Gletscher- und Gebirgslandschaften, erzählt von Geschichte und Kultur des Trentino und seiner Einwohner und regt zum Nachdenken über Krieg und Frieden an. Wer ihn entlang wandert, kommt an zahlreichen Monumenten und Schauplätzen des Ersten Weltkrieges vorbei. Denn als ehemaliges Grenzgebiet war die Region besonders umkämpft. Die vielen Spuren der Vergangenheit sind heute Mahnmale des Friedens. Das Trentino setzt sich für deren bewusste Wahrnehmung ein und so wurde bereits vor über 20 Jahren der Friedensweg konzipiert. Von den Brenta-Dolomiten führt er über den Gardasee bis hin zur Marmolada. Entlang der Strecke liegen 19 Museen und Gedenkstätten, welche die einstigen Kriegsereignisse dokumentieren.
Für den gesamten Friedensweg benötigt man mindestens vier Wochen. Es ist aber auch möglich, sich einzelne Teilstrecken herauszusuchen. Der Weg besteht aus sieben Hauptteilen, die jeweils in mehreren Tagen bewältigt werden können.
1. Teilstrecke – vom Passo Tonale zum Adamello-Gletscher:
Der Friedensweg beginnt am Passo Tonale und führt in zwei Tagen durch die eisige Gletscherwelt des Adamello bis zum Rifugio Carè Alto.
2. Teilstrecke – vom Adamello-Gletscher bis ins Valle di Ledro:
Vom Adamello-Gletscher geht es in drei Tagen hinunter in die ursprünglichen Täler Val Rendena und Valli Giudicarie bis ins Valle di Ledro. Die einzelnen Strecken sind lang und anspruchsvoll, die Landschaften einsam und unberührt.
3. Teilstrecke – vom Valle di Ledro auf den Monte Altissimo:
Vom Valle di Ledro erreicht der Wanderer in drei Teilabschnitten über das Rifugio Pernici erst den Lago di Garda und dann den auf 2.079 Höhenmetern gelegenen Rifugio Altissimo. Die einzelnen Strecken sind technisch gut zu meistern.
4. Teilstrecke – vom Monte Altissimo nach Rovereto und ins Vallagarina:
Sieben Tage verlangt die Strecke vom Monte Altissimo hinab nach Rovereto. Dort hängt die Friedensglocke Maria Dolens „La Campana dei Caduti“, die aus den Bronzekanonen der am Krieg beteiligten Nationen gegossen wurde. Jeden Abend erinnert sie mit hundert Glockenschlägen an die Gefallenen aller Kriege und ruft damit zu Frieden und Brüderlichkeit zwischen den Völkern auf. Weiter führt der Friedensweg über den Monte Zugna und den Monte Pasubio bis ins Vallagarina.
5. Teilstrecke – vom Vallagarina zu den Hochebenen von Folgaria, Lavarone und Luserna:
Vom Vallagarina geht es in vier Etappen über die Hochebenen von Folgaria, Lavarone und Luserna bis zum Passo Vezzena. In Lavarone befindet sich das gut erhaltene Bollwerk Gschwent, besser bekannt als „Forte Belvedere“. In seinem Inneren beherbergt es ein Museum mit interessanten Exponaten und multimedialen Installationen.
6. Teilstrecke – durch das Valsugana und über die Lagorai-Kette:
Sechs Etappen werden für diesen Abschnitt veranschlagt. Sie sind sehr abwechslungsreich und führen durch das liebliche Valsugana mit dem Lago di Caldonazzo bis zum Passo Rolle im wilden Lagorai-Gebirge.
7. Teilstrecke – vom Valsugana bis zur Marmolada:
Vom Passo Rolle geht es über den Passo San Pellegrino in drei Tagen bis ins Val di Fiemme und weiter nach San Martino di Castrozza. Schließlich führt die Strecke vorbei an den Pale di San Martino ins Val di Fassa und bis zum Gipfel der 3.343 Meter hohen Marmolada.
Weitere Infos zum Friedensweg im Trentino und eine geführte Tour gibt’s beim DAV Summit Club unter: www.dav-summit-club.de