„So weit uns die Füße tragen“ war eine der häufigsten Antworten auf die Frage, wie lange es denn heute noch gehen soll. Gestellt wurde sie zumeist an den zahlreichen Verpflegungsstationen entlang der sich über rund 70km erstreckenden Route des „24 Stunden von Bayern“ Wanderevents, der erstmalig in Kooperation von der Region Berchtesgadener Land und dem Chiemgau ausgetragen wurde. Wie weit jeder der insgesamt 444 Teilnehmer, die aus rund 1.500 Bewerbern ausgelost worden waren, letztendlich kamen, ist nicht beurkundet. Jedenfalls machten sie sich am Samstag, den 16. Juni, auf einen 24-stündigen „Gewaltmarsch“ durch die sengende Hitze der bayrischen Bergwelt. Mit nur einem Ziel vor Augen: zu Fuß die eigenen Grenzen und die Region entdecken.
Wanderevent im Berchtesgadener Land – Frühschoppen mal sportlich.
Um 8 Uhr in der Früh fiel der Startschuß zum wohl „härtesten Wanderevent“, der jemals im Berchtesgadener Land bzw. im Chiemgau stattgefunden hat. Ein Pulk von Wandersleuten jeden Alters setzte sich daraufhin langsam in Bewegung und schlängelte sich im Takt der Blasmusik um die neue „Max Aicher Arena“ in Inzell herum, hinein ins Langackertal. Zuvor hatte das Berchtesgadener Wintersport-Idol Georg Hackel noch allen Teilnehmern taktische Empfehlungen mit auf den Weg gegeben, fügte sich jedoch aufgrund privater Verpflichtungen beim Hausbau nicht mit in deren Reihen ein.
Auch Gunda Niemann-Stirnemann beließ es bei den Glückwünschen und überließ lieber dem Bürgermeister von Inzell die aktive Teilnahme zu Fuß. Der spielte dann prompt und zum Erstaunen aller am Falkensee ein Ständchen auf der Trompete und untermalte akustisch die idyllische Landschaft rechts und links des Weges.
Stau auf der Waldautobahn hinauf zur Kohleralm.
Beim Aufstieg zur Kohleralm war dann vorerst Schluss mit lustiger Tratscherei und dem gemütlichem Spaziergang durchs Langackertal. Auch dem im Rahmen eines historischen Selbstversuchs in römische Originaluniform gekleideten Soldaten verging alsbald das Lächeln. Denn die rund 800 Höhenmeter brachten so manchen ins Schwitzen und andere wiederrum zur Weißglut. Aufgrund des recht engen und teilweise glitschigen Steigs schob sich die Masse nur im Entenmarsch den Berg hinauf.
„So wird das nichts mit den 8 Stunden für die ersten 30 Kilometer“ argwöhnte so mancher und blickte entnervt auf die Uhr. Oben angekommen fielen bereits die ersten erschöpft ins Gras und erholten sich von den „Strapazen“ mit Hilfe einer deftigen Brotzeit und einem wunderbaren Ausblick auf den verschneiten Gipfel des Watzmann. Der obligatorische Inzeller Alphornbläser trieb jedoch alsbald zum Aufbruch, denn noch weitere 25km galt es zu bestreiten.
Der Salzalpensteig – oder auf 444 Stufen durch die Hitzehölle.
Von dort aus ging es dann im Stolperschritt über rutschiges Wurzelwerk und die Zwieselalm hinunter ins Tal, immer in Richtung Bad Reichenhall. Mit jedem Meter, der dabei zurückgelegt wurde, nahm auch die Temperatur stetig zu. Am Ende waren es gut 30 Grad im Schatten, mit denen die Wandersleute zu kämpfen hatten. Zum Glück waren auf der Strecke in regelmäßigen Abständen Verpflegungsstationen eingerichtet, die neben kühlen Getränken und regionalen Köstlichkeiten die ausgelaugten Teilnehmer auch mit wissenswerten Details aus dem Berchtesgadener Land sowie dem Chiemgau versorgten. So durfte jeder ein Nudelgericht der Feldküche der Gebirgsjägerbrigade 23 „Bayern“ (GebJgBrig 23) aus Bad Reichenhall probieren, musste eine römische Mautstelle passieren und konnte mit selbstgebackenem Brot und hausgemachtem Käse den Hunger stillen.
Aber auch unabhängig von Speis und Trank hatten die Veranstalter einiges zu bieten. So bot sich jedem u.a. die Möglichkeit, aus einem Baumstamm eine Sole-Rohrleitung zu bohren, Alpakas zu streicheln oder sich die müden Glieder massieren zu lassen. Das Highlight der ersten Strecke war jedoch mit Abstand die Weißbachschlucht, deren kühle Luft die benebelten Sinne wiederbelebte und dafür sorgte, dass jeder Teilnehmer garantiert die danach folgenden 444 einzelnen Stufen der „Himmelsleiter“ emporzusteigen vermochte. Diejenigen, die es bis hierhin geschafft und nicht wie viele andere mit einem der zahlreichen Shuttlebusse die Strecke verkürzt hatten, fluchten bei jedem Schritt laut hadernd vor sich hin: „Warum tu ich mir das hier eigentlich an!?“.
Darf’s auch ein bißchen mehr sein?
Verschwitzt und ausgepowert erreichten auch wir schließlich den Wandermarktplatz „Max Aicher Arena“ nach 10 Stunden und mit zweistündiger Verspätung, gemessen am offiziellen Zeitplan. Schon hier beschwerten sich GPS-bewaffnete Teilnehmer darüber, dass ihre Hightech-Geräte eine eigentliche Streckenlänge von rund 36 statt der offiziellen 30km ermittelt hätten. Wir nahmen es mit sportlichem Humor und stapften mit schweren Beinen in die zweite Runde mit ihren 14 km – dem eigentlichen Glanzstück der 70 km Gesamtstrecke.
Der breite Forstweg zog sich sanft durch Wälder und Wiesen des Filzen-Moors und schlängelte sich mit leichten Anstiegen durch das Alpenvorland an wunderschönen Gehöften und Bauernhöfen vorbei. Die reinste Entspannung für Füße und Seele. Auch der Gaumen kam dabei wieder ganz auf seine Kosten und durfte in der eigens errichteten Schlemmermeile verschiedene kulinarische Kostbarkeiten ortsansässiger Anbieter probieren. So gestärkt galt es dann im Dämmerlicht die letzten fünf Kilometer zu stemmen, während am Wandermarktplatz bereits das Sonnwendfeuer entzündet wurde.
70km und 2.500 Höhenmeter – by fair means direkt ins Bett
Dort angekommen war für uns um 22.30 Uhr dann doch Schluss, denn letztendlich siegte die Vernunft über den sportlichen Ehrgeiz. In Anbetracht der geplanten 5-tägigen Hüttentour durch den Rosengarten in den Dolomiten, einem lädierten Knie und geschwollenen Füßen wollten wir nach 45km (eigentlich ja 51km) einfach nichts mehr riskieren. Ein wenig deprimiert fielen wir todmüde ins Bett und schliefen sofort ein – noch mit der Frage im Kopf: wie mag es sich wohl erst nach 24 Stunden Dauerwandern anfühlen!?
Am nächsten Morgen – wir hatten natürlich verschlafen – kamen wir beim Frühstück mit einigen Teilnehmern ins Gespräch, die allesamt den Weg ins Bett gefunden hatten, anstatt sich die Nachtrunde mit ihren rund 24km und weiteren knapp 900 Höhenmetern anzutun. Kaum einer fühlte sich im Stande, die 70km „by fair means“ zu bewältigen und ließ daher lieber eine der drei Strecken aus (von der zusätzlichen Fitnessrunde ganz zu schweigen) oder nahm den Bus um ans Ziel zu gelangen. Fast alle waren sich einig, dass der Wanderevent in diesem Jahr schon recht „hart“ und „kaum zu schaffen war“ und so mancher trat etwas enttäuscht die Rückreise an.
Und was bzw. wo ist das Ziel?
Geht es aber nun darum, einfach nur 24 Stunden auf den Beinen zu sein? Muss man die 70km auf jeden Fall schaffen und dass ohne Zuhilfenahme technischer Mittel? Am Ende muss jeder selbst wissen, warum er mitgelaufen ist und was das eigentliche, persönliche Ziel eines solchen Wanderevents sein soll. Letztendlich geht es doch darum, die Landschaft und ihre schönen Seiten sowie die Menschen, die dort leben, kennenzulernen. Wer sich dieses Ziel steckt, wird garantiert auch in Füssen – dem nächsten Austragungsort im Jahr 2013 – ankommen und jede Menge an wunderbaren Eindrücken und Erlebnissen sammeln und in die Welt hinaus tragen können. Somit wäre zumindest das anvisierte Ziel der Veranstalter erreicht.