Kale Lama hat Tränen in den Augen und bedankt sich dafür, dass er überhaupt hier vor uns stehen darf. Jedes Wort legt er sich bedächtig für seine Dankesrede zurecht, die er mit belegter Stimme und scheuem Blick von sich gibt. Gerührt hängen wir an seinen Lippen und wissen nicht so recht, ob wir nun lachen oder weinen sollen. Denn eigentlich sollten wir es doch sein, die sich bei ihm bedanken müssten. Für seine herzliche Begrüßung, für seine Umsichtigkeit und das wunderbare Dal Bhat, das er uns aus gegebenem Anlass auf den Tisch gezaubert hat. Ein Anlass, der nicht besser hätte sein können für das nepalesische Nationalgericht bestehend aus einer Linsensuppe (Dal), Reis (Bhat) und gekochtem Gemüse der Saison.
Eingeladen hatten die Organisatoren des Pitztaler Tourismusverbands, um der NepalHilfe Tirol eine kommunikative Bühne zu bieten. Und was würde nicht besser passen als eine gemeinsame Bergtour hinauf zur Wildspitze mit den wohl wichtigsten und bekanntesten Köpfen hinter dem gemeinnützigen Verein. Einer davon ist Tashi Tenzing Sherpa, Enkel des einstigen Erstbesteigers des Mount Everest Tenzing Norgay. Quasi vom Dach der Welt, auf dem der Nepalese selbst bereits ganze vier Mal dem Himmel ziemlich nahe kam, direkt hinauf aufs 5.080 Meter „kleinere“ Dach von Tirol gehen. Mit in die Seilschaft eingeklinkt hat sich auch Wolfgang Nairz, der als erster Österreicher überhaupt im Jahr 1978 eine Expedition erfolgreich auf den Mount Everest führte, und sich als Obmann und Gründervater der NepalHilfe Tirol um den Aufbau von Schulen in Nepal und die medizinische Versorgung vor Ort kümmert.
Wenn Nepalesen nach Österreich auswandern, um Hüttenmanagement zu studieren.
Der gemeinnützige Verein ist auch der Grund weshalb der 36jährige Nepalese hier im Taschachhaus nun vor uns steht und sich die Tränen aus den Augenwinkeln wischt. Kale ist vom Volk der Sherpa und bereits zum vierten Mal zu Gast in Österreich, wo er auf der Schutzhütte des Deutschen Alpenvereins Sektion München Oberland viel Wissen zum Management einer Hütte mitnehmen soll. Damit ist er einer von rund 30 Nepali, die jedes Jahr den weiten Weg nach Europa antreten und im Rahmen der NepalHilfe Tirol an einem „Hilfsprojekt“ der besonderen Art teilnehmen dürfen. Nicht selbstverständlich wie sich später noch herausstellen wird, denn gerade in der jüngsten Vergangenheit wurde es zunehmend schwieriger, die „Quote“ nicht europäischer Ausländer überhaupt hochzuhalten, wie Wolfgang Nairz zu berichten weiß.
Denn aufgrund der enormen Flüchtlingsströme sind die Behörden nicht gerade offenherzig was die Aufnahme von „Ausländern aus Drittländern“ angeht. Laut Aussage von Nairz ist es sogar ein regelrechter Kampf, dass zumindest die Zahl von 30 Nepalesen pro Jahr nicht zurückgeschraubt wird. Ginge es nach dem Willen des Gesetzgebers würde wohl kein Einziger aus den Reihen des sympathischen Bergvolks den Weg auf die insgesamt 26 Hütten in Österreich finden. Dabei handelt es sich nicht einmal um Flüchtlinge oder Asylsuchende, sondern lediglich um Menschen, die in ihrem eigenen Land etwas bewegen wollen und mithilfe des hier gesammelten KnowHows eine solide Existenz in ihrer Heimat aufbauen wollen. Somit geht es direkt nach dem Aufenthalt in Österreich wieder zurück in die Heimat, wo die „Lehrlinge“ mehr oder weniger Aufbauhilfe in einem der ärmsten Länder der Welt leisten.
Kommunikationshürden und kulturelle Unterschiede als Basis für defekte Elektrogeräte
Eine Art Kooperation, die für beide Seiten alles andere als selbstverständlich ist, wie Christoph Eder und seine Frau Barbara berichten. Seit nunmehr 4 Jahren betreiben sie das Taschachhaus im Pitztal und sind heilfroh über jede helfende Hand. Da kam die Idee der NepalHilfe Tirol fast wie gerufen. Unabhängig davon engagieren sich die beiden auch privat und leisten Aufbauhilfe direkt vor Ort, indem sie zum Beispiel zahlreiche Patenschaften für Schulkinder übernommen haben. Mindestens so dankbar wie Kale sind also auch die Hüttenwirte, die wegen der anfänglichen kommunikativen Hürden und der kulturellen Unterschiede so manche Anekdote zum Besten geben können.
Sei es nun der Stabmixer, der aufgrund mangelnden Wissens mitsamt der elektrischen Einheit zum Reinigen komplett ins Wasser getaucht wird. Oder die freundliche, aber bestimmten Aufforderung, dass sich Kale zum Kartoffelschälen doch bitte nicht auf den Boden setzen soll, weil das aus hygienischen Gründen einfach nicht geht. Von den Sprachbarrieren und sich daraus ergebenden Schwierigkeiten ganz zu schweigen. Aber selbst die größten Hürden sind irgendwann einmal überwunden und ist der Sherpa im Hüttenalltag mittlerweile kaum mehr wegzudenken. In dem Moment als Christoph Eder die letzten Jahre vor seinem inneren Auge Revue passieren lässt, steigen auch ihm die Tränen in die Augen und seine Backen nehmen etwas Farbe an – ob nun aus Verlegenheit oder Nächstenliebe sei jetzt einfach mal dahingestellt.
Wozu aufs Dach von Tirol steigen, wenn der Gipfel der Gefühle zwei glückliche Sherpa sind?
Insgesamt viermal darf ein Sherpa im Rahmen des von der NepalHilfe Tirol initiierten Projekts in Österreich sein Quartier aufschlagen, danach muss sie oder er komplett auf eigenen Beinen stehen lernen. Mit dem hier verdienten Geld gar keine allzu schwere Aufgabe, denn der auf den Hütten ausgezahlte Lohn entspricht in etwa dem vierfachen Jahresgehalt eines gut verdienenden Arztes in Nepal. Damit das Geld nach der Rückkehr aber nicht einfach nur verprasst wird, kontrolliert Wolfgang Nairz mitunter persönlich, ob das Geld auch seine tatsächliche Bestimmung findet. Vielleicht mit ein Grund wieso Kale lieber doch keinen Vorschuss annehmen wollte, scheinbar um gar nicht erst der Versuchung widerstehen zu müssen. So oder so hat es der zurückhaltende Sherpa geschafft, wenn er denn auch in Nepal alles richtig macht. Doch auch wenn Kale momentan recht traurig aus der Wäsche schauen mag, weil er die mittlerweile wie eine Familie liebgewonnenen Hüttenbetreiber so schnell wohl nicht wiedersehen wird, freut er sich umso mehr auf die während seiner Abwesenheit neugeborene Tochter und wünscht seinem Nachfolger eine mindestens genauso lehrreiche Zeit.
Und was wurde nun eigentlich aus dem ambitionierten Vorhaben, dem zweithöchsten Gipfel Österreichs aufs Dach zu steigen? Aufgrund der Wetterkapriolen dieses Sommers sollte es einfach nicht sein. Gut 800 Meter unterhalb des Gipfels war Schluss und Bergführer Michi forderte uns zur Umkehr auf. Aber auch ohne Gipfelerfolg war es für Tashi Tenzing Sherpa und Wolfgang Nairz eine mehr als gelungene Aktion, um auf ihr gemeinnütziges Projekt aufmerksam zu machen, das gerade in der heutigen Zeit mehr gebraucht wird denn je. Und die ein oder andere Träne im Knopfloch von so manchem Teilnehmer nimmt das Team um Nathalie Zuch vom Tourismusverband Pitztal sicher gerne in Kauf – zumal sie es selbst erst ein paar Tage zuvor mit drei weiteren Mädels bis ganz nach oben geschafft hat.
Weitere Infos zur NepalHilfe Tirol und zu deren gemeinnützigen Projekten gibt’s hier: www.nepalhilfe-tirol.at