Der Alpenverein wurde am 9. Mai 1869 gegründet. Damals noch mit dem Ziel, die „Deutschen Alpen“ touristisch zu erschließen. Heute, exakt 150 Jahre später, wird man die einst gerufenen Geister scheinbar nicht mehr los und kämpft mit den Auswirkungen von Massentourismus, kommerziellen Interessen und einem ständigen Kampf gegen die Widersacher des Alpenplans. So zählen kilometerlange Staus, genervte Hüttenwirte und mancherorts das gnadenlose Abkassieren zur neuen Realität. Doch was vertragen die Berge eigentlich? Und wie geht es den Menschen, die dort leben wo andere Urlaub machen? Und wann ist das Maß voll? Zeit für einen Kommentar im Rahmen unserer Kolumne „Das ist ja der Gipfel“.
Deutscher Alpenverein e.V. – der Ursprung allen Übels oder doch Heilsbringer in der Not?
Mittlerweile zählt der DAV stolze 1.289.641 Mitglieder, die sich auf insgesamt 356 regionale Vereine bzw. sogenannte „Sektionen“ im gesamten Bundesgebiet verteilen. Hinzu kommen 321 öffentlich zugängliche Berg- und Schutzhütten, die sowohl in den inländischen und europäischen Alpen als auch in den deutschen Mittelgebirgen zu finden sind. Alpenvereinshütten, die rund 800.000 Übernachtungen pro Jahr verbuchen und auf denen geschätzt 2 Mio. Tagesgäste im Jahr sich die Klinke in die Hand geben. Soweit erst einmal zu den reinen Fakten, was die Zahl der Bergfreunde betrifft.
Die „Dunkelziffer der tatsächlichen Besucher“ dürfte jedoch weitaus höher liegen, rechnet man die „normalen Urlauber“, Erholungssuchenden und Naturfreunde ohne Alpenvereinsmitgliedschaft mit hinzu. Eine kaum definierbare Welle an Menschen, die sich jedes Wochenende aus den Städten in Richtung Alpenhauptkamm schieben, um dort sowohl Ruhe als auch den nötigen Abstand vom Alltag zu finden. Tendenz steigend. Längst haben die Alpenvereine scheinbar die Kontrolle über die Kommerzialisierung der Berge verloren.
Das fängt bei fragwürdigen Seilbahnprojekten an, geht bei der warmen Dusche auf der Schutzhütte weiter und endet schließlich beim W-Lan auf 3.000 Metern Höhe. Wer jetzt wie genau dafür verantwortlich und ob alles nur eine Frage von Angebot und Nachfrage ist, sei vorerst einmal dahingestellt. Es ist schlichtweg zu voll geworden – zumindest in der Nähe größerer Städte und Ballungszentren.
Du stehst nicht im Stau, Du bist der Stau!
Das tatsächliche Ergebnis kann jeder selbst in Augenschein nehmen: Entweder man steht bereits auf dem Weg in die Berge im Stau. Oder aber spätestens am Startpunkt der geplanten Route sucht man vergeblich einen Parkplatz. Für den man dann im schlimmsten Fall wie in Berchtesgaden satte 7,- Euro berappen muss. Übernachten im Auto ist sowieso kaum mehr möglich oder wird – wenn überhaupt – nur noch geduldet.
Hat man es dann endlich aus dem Vehikel auf den Wanderpfad geschafft, ist man zwar draußen in der Natur, aber mancherorts definitiv nicht allein unterwegs. Dem nicht genug, scheinen vereinzelte Ziele mittlerweile so en vogue zu sein, dass sich dort vor allem jene Spezies tummelt, die man sonst nur am Münchner Flaucher oder im Englischen Garten erwarten würde.
Leicht bekleidet geht’s mit Chucks, Hotpants, Spaghetti-Träger-Top und Jutebeutel in Richtung Hausberge – den Selfie-Stab immer im Anschlag. Nicht selten begegnet man sich auf einer Tour gleich zweimal: Einmal im Aufstieg beim Überholen und dann nochmals beim Abstieg, wenn jemand unglücklich umgeknickt ist oder die 0,5 Liter Flasche bei fast 30 Grad im Schatten doch nicht ausreicht für die dreistündige Bergtour. Nichts für ungut, jeder darf sich in den Bergen aufhalten und soll sich dort in vollen Zügen austoben. Aber einen gewissen Respekt gegenüber Natur, Mensch und Tier sollte jeder mitbringen – egal ob blutjunger Einsteiger oder passionierter Vollprofi.
Drahtseilakt für Mensch, Tier und Fauna
Die eher negative Entwicklung der „Stadtflucht“ lässt sich vor allem an Wochenenden mit stabiler Wetterlage beobachten. So bspw. auch auf dem Gratweg zwischen Herzogstand und Heimgarten im Werdenfelser Land. Eine knappe Autostunde von München entfernt, tummeln sich hier mittlerweile die verschiedensten Gattungen an „Naturfreunden“. Locals sucht man an weißblauen Sommertagen vergeblich. Kommt dann noch ein digitaler Tourentipp des Internetportals von Bergwelten hinzu, steigt die Zahl der Ausflügler um ein Vielfaches an. Wie an einer Perlenkette aufgefädelt schieben sich die zum Teil erschreckend unerfahrenen und mitunter absolut ungeeignet ausgerüsteten Outdoorsportler ihrem Ziel entgegen.
Für erfahrenere Bergmenschen häufig ein kniffliger Drahtseilakt zwischen: „Soll ich jetzt was sagen oder geht mich das nichts an?“. Dabei geht es nicht darum, sich über andere zu erhöhen oder darüber zu urteilen, wer am Berg sein darf und wer nicht. Vielmehr geht es darum, als was die alpine Landschaft wahrgenommen wird. Als Funpark oder als Naherholungsgebiet? In einem Punkt dürften wir uns jedoch einig sein.
So manche entwickeln keinerlei Verhältnis zur Umgebung, in der sie sich bewegen. Denn würde man alle abseits der Pfade hinterlassenen Taschentücher einsammeln, käme mit Sicherheit eine Großpackung Tempo zusammen – mitsamt Plastikverpackung natürlich. Dem nicht genug, wird das Geschäft notfalls sogar direkt auf dem Weg verrichtet, sollte rechts und links vom Weg nicht ausreichend Platz vorhanden sein. Spätestens dann platzt einem der Kragen.
Die Geister die ich rief, wandern mit Bassbox am Rucksack.
Das Resultat ist jedefalls fast überall dasselbe. Steigende Zahlen für Rettungseinsätze seitens der Bergwacht und vermehrte Flüge mit dem Helikopter – zum Glück mit weniger tödlichen Unfällen. Genervte Hüttenwirte, die den obligatorischen Kaiserschmarrn mit viel Argwohn auf den Tisch knallen. Ankommende, egal um wen es sich dabei handelt, werden aus mürrisch dreinblickenden Augen angeschaut. Mancher Begdorfbewohner dreht einem nicht nur den Rücken zu, sondern rollt entrüstet mit den Augen. Was der- oder demjenigen wohl durch den Kopf geht, wenn eine Horde junger Kerle mitsamt Bassboxen am Rucksack die Stille in Wallung bringt?
Dieselbe Frage stellt sich, wenn sich die Kolonnen nach „Ladenschluss“ wieder durch die Ortschaften schieben. Stoßstange an Stoßstange. Vermutlich geht spätestes dann ein Seufzer durch die Gassen und kehren die Bewohner zur Normalität zurück, wenn der letzte Grill vom Seeufer verschwunden ist. So wie auch am beliebten Walchensee, wo sich an Schönwettertagen durchaus einmal tausende Auto- und Motorradfahrer im Sekundentakt durch de schmalen Straßen quetschen.
Irgendwie kann man den Argwohn der Ortsansässigen dann fast schon wieder verstehen. Wer mag es schließlich, wenn einem ein Wildfremder in den Garten pisst, dreist die Einfahrt zuparkt oder mal eben quer durch die Rabatten latscht? Aber wo und wann ist die Grenze erreicht, an der die Urlaubsorte und die Natur dem Kollaps bedrohlich nahe kommen? Wann ist das Maß voll? Sind wir Medienschaffenden, Blogger und Influenzer bzw. die Tourismusverantwortlichen und Geschäftemacher nicht alle Teil dieser Entwicklung? Sollten wir besser gar nicht mehr über unsere Outdoor-Abenteuer berichten oder gar Geheimtipps verraten?
So viel ist sicher: Irgendwas läuft da gerade gewaltig schief. Wenn die Alpen nicht zum Funpark verkommen sollen, dann sollten auch die Alpenvereine mehr tun, um an das Gewissen jedes Einzelnen zu apellieren. In meinen Augen kann eine werbewirksame Kampagne unter dem Hashtag #UnsereAlpen kaum bis gar nichts daran ändern, sondern macht es am Ende vermutlich nur noch schlimmer.