Irgendwie befinden wir uns doch alle auf der Suche nach dem Glück, oder nicht? Die einen finden es daheim auf der Couch und andere wieder „müssen“ die halbe Welt dafür bereisen, um sich dessen Existenz überhaupt bewusst zu werden. So wie der Münchner Weltenbummler, Autor und Ultratrail-Runner Peter Hinze, der sein ganz persönliches Glück im Upper Dolpo gefunden zu haben scheint.
Einem der einsamsten Gebiete im Himalaya und einem jener Orte, an denen die Menschen seit Jahrhunderten, wenn nicht seit Jahrtausenden im Einklang mit der Natur leben und ihr Leben nicht einfach nur ertragen, sondern trotz aller Herausforderungen glücklich „erleben“. Wie es dem Volk der Dolpo-Pa trotz aller Beschwerlichkeiten gelingt, das Glück auf ihrer seite zu wissen, hat Peter Hinze in seiner berührenden Hommage „100.000 Schritte zum Glück – von der Einfachheit des Lebens im Himalaya“ niedergeschrieben, die jüngst mit dem ITB Berlin BookAward 2022 ausgezeichnet wurde.
Die Reise zu Zufriedenheit, Mitgefühl und Glück führt direkt nach Nepal
Der Journalist und Nepal-Kenner Peter Hinze erzählt in seinem neuesten Buch die ungewöhnliche Geschichte seiner abenteuerlichen Entdeckungsreise, die ihn in die unzugängliche Bergwelt des Upper Dolpo geführt hat. Eine unwirtliche Welt fernab jeglicher Zivilisation. Heimat der vielleicht letzten Ureinwohner des Himalayas. Eine Gegend, in der man bis heute vergeblich nach ausgebauten Straßen, modernen Kommunikationsmitteln oder mezinischen Einrichtungen sucht. Wer hier lebt, ist zumeist auf sich allein gestellt und muss auf die Bekömmlichkeiten der vermeintlich „zivilisierten Welt“ weitestgehend verzichten.
Eine Welt, die vielleicht genau deshalb der perfekte Ort ist, um dem Glück und dem wahren Sinn des Lebens eine natürliche Heimat zu geben. Doch auch vor dieser Welt macht der Wandel der Zeit nicht halt und hinterlässt zunehmend die Spuren von Kommerz, Globalisierung und bisher ungekannter Neidkultur. Gerade einmal knapp 6.000 Menschen, sogenannte Dolpo-pa, leben in der gebirgigen Einöde, wo sie tagein tagaus einen Kampf ums Überleben führen und wo noch immer Anhänger des Bön zurückgezogen leben – der wohl ältesten, noch praktizierten Religion der Welt, die geprägt ist vom Glauben an Heiler, Schamanen und Naturgewalten.
»Wir achten die Natur und respektieren sie seit Generationen. Wir streben nicht nach Reichtum, wir streben nach Respekt für unsere Mitmenschen, nach Zufriedenheit und nach Glück. Wir fühlen uns als Gemeinschaft, das macht uns stark – und lässt uns überleben. Diese Überzeugungen sind die Basis unseres Alltags.« (Tsering Sumjok)
Der Autor Peter Hinze hat bereits unzählige Male den Himalaya bereist und kennt sich in entlegenen Gegenden bestens aus. In seinem Werk beschreibt er auf 192 Seiten etappenweise seine Reise quer durch die einsame Gebirgslandschaft an der Grenze zu Tibet. Begleitet wird er dabei von Tsering Sumjok, einer jungen Frau, die ihre komplette Familie im fernen Dorf Bhijer auf fast 4.000 Meter Höhe seit rund zehn Jahren nicht mehr gesehen hat und für den „Fremden“ aus Deutschland die Türen der Dolpo-Pa öffnen möchte – und gewissenermaßen auch zum Glück.
Denn genauso unzugänglich wie das Land sind die Menschen selbst: Nicht einmal 500 Ausländer wagten demnach im Jahr 2019 das Abenteuer einer Reise nach Upper Dolpo. Im Pandemiejahr 2020 verirrte sich überhaupt kein Fremder bzw. Tourist mehr dorthin, so die offizielle Statistik. Grund genug daran etwas zu ändern und nach einem erstem Besuch von Peter Hinze im Jahr 2018 die Region drei Jahre später erneut aufzusuchen.
Auf dem Weg dorthin führt der Autor zahlreiche Gespräche mit Einheimischen, verfällt in Tance-artige Zustände während der religiösen Zeremonien tibetischer Mönche und versucht im Austausch mit geistlichen Würdenträgern eine Antwort auf die Frage zu finden: Wie lautet in dieser einsamen Region die Formel für ein Leben in Glück und Zufriedenheit? Ob nun als Zuhörer oder stiller Beobachter, Schritt für Schritt kommt er der Bedeutung von Achtsamkeit, Normalität im Alltag, Demut, Glauben oder Respekt im Alltag näher.
Bis Peter Hinze auf dem Weg zurück in die Zivilisation plötzlich erkennt, worauf es im Leben wirklich ankommt: Gastfreundschaft, Zusammenhalt und Leben im Einklang mit der Natur. Oder um es mit den Worten eines armen Hirten aus dem Upper Dolpo zu sagen: “Wir haben genug zu essen, wir haben genug zum Anziehen – warum sollten wir nicht glücklich sein?“ Eine weise Erkenntnis, von der auch der Rest der Welt vielleicht etwas Zufriedenheit gewinnen kann.
Das Fazit von Veit: Schritt für Schritt ins Leseglück – oder wie man Kapitel für Kapitel den wahren Sinn des Lebens finden kann.
Eines vorweg: Wer wie wir selbst schon einmal in Nepal gewesen ist, weiß wie wenig Besitz ein Mensch wirklich braucht, um dennoch glücklich zu sein. Eine Tatsache, die uns während unserer Reise quer durch Nepal schon damals im Jahr 2013 schwer beeindruckte und bis heute im Kopf geblieben ist. Vor allem abseits der Metropolen und großen Städte konnten wir diese Erfahrungen immer wieder aufs Neue sammeln. Und vermutlich wird es Peter Hinze ebenso ergangen sein auf seiner Reise zu Fuß quer durchs Upper Dolpo.
Jedenfalls liest sich sein Buch wie eine einzige große Verwunderung. Natürlich im positiven Sinne. Laut seiner eigenen Aussage, hat sich der Autor das Glück im wahrsten Sinne des Wortes »erlaufen«, in dem er unterwegs dank zahlreicher Begegnungen herausfinden durfte, was die wichtigsten Früchte von Gemeinschaft und Solidarität sind: Glück, Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe.
Etwas gemeinsam zu erleben, eine Situation gemeinsam genießen und ggbfs. auch Not und Leid gemeinsam zu durchleben, weckt am Ende immer Glücksgefühle in unserem tiefsten Innern. Gefühle, die sich seiner Meinung nach nicht entwickeln können, wenn wir immer und ständig besorgt sind oder nach rechts und links schielen, weil wir neidisch auf das vermeintliche Glück anderer sind.
Auf diese Weise konnte Peter Hinze seine Sorgen und seinen Ballast nach einer gewissen Zeit hinter sich lassen. Weil er erkannt hat, was wirklich relevant für Glückseligkeit ist und wie wenig es tatsächlich zum Erreichen dieser Glücksgefühle braucht. Erkenntnisse, die man auch als Leser mit jedem Kapitel gewinnen kann.
Denn alles was es im Grunde genommen braucht, ist ein Dach über dem Kopf, ausreichend Nahrung und die Gesellschaft lieber Menschen. Wer das alles noch in Einklang mit Mutter Natur bringt, steigt vermutlich in den Olymp der Glückseligkeit auf. Wären da nur nicht Eifersucht, Neid, Gier und Zeitdruck – allesamt Dinge, denen wir Menschen aus der modernen Gesellschaft weitaus mehr Aufmerksamkeit schenken, als den kleinen Dingen.
Warum auch immer! Gefühle und Stimmungen, die unser Glück und unsere Zufriedenheit nicht nur massiv in Frage stellen und beeinträchtigen, sondern im schlimmsten Fall sogar zu Kriegen führen können wie es sich aktuell wieder einmal in der Ukraine beobachten lässt.
Mein Gesamtfazit: Peter Hinzes „Reisebericht“ ist ein leises Buch, dessen Lektüre gebührend zelebriert und mit der nötigen Ehrfurcht durchgeführt werden sollte. Dementsprechend habe ich mir beim Lesen sehr viel Zeit gelassen, weil jede Seite für sich und jedes darin abgedruckte Bild eine ganz eigene Wirkung langsam entfalten muss.
Am Ende stellt sich für mich nur die eine, aber alles entscheidende Frage: Braucht es wirklich diese alles entsagende Einfachheit und einen von Mangel geprägten Alltag, um wirklich glücklich zu sein? Oder lässt sich die innere Zufriedenheit auch inmitten unserer schnelllebigen Zeit erreichen? Peter Hinze ist sich nach seiner Reise durch Upper Dolpo jedenfalls sicher: „Je weniger wir besitzen, desto besser kann sich das Glück entfalten.“
Über den Autor und Tausendsassa Peter Hinze
Peter Hinze war als Redakteur für verschiedene Reisemagazine tätig und ist Mitbegründer des Nachrichtenmagazins FOCUS. Dort war er u. a. verantwortlicher Redakteur für das Thema Reise und verantwortete die Produktion entsprechender Sonderhefte. Heute arbeitet er als freiberuflicher Journalist und Buchautor.
Seit 1982 hat er mehr als 21 Mal in den Himalaya bereist, war als einer der ersten westlichen Ausländer per Anhalter in Tibet unterwegs und führte mehrmals Interviews mit Sir Edmund Hillary, seiner Heiligkeit dem 14. Dalai Lama, Apa Sherpa sowie Reinhold Messner. Seit 2019 unterstützt Peter Hinze mit seinem „DOLPO PROJECT“ sozial schwache und bedürftige Familien in Upper Dolpo.
Vorrangiges Ziel: eine bessere Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln. Dafür wurden inzwischen über 50 Mikro-Gewächshäuser gebaut, die im Sommer den Anbau von Gemüse ermöglichen und im Winter als „warme“ Unterkunft genutzt werden können. Darüber hinaus wurde Klöstern und Schulen bei der Erhaltung kultureller Identität geholfen sowie Privatpersonen in lebensbedrohlichen Lagen unterstützt (in erster Linie Opfer von Feuerunfällen). Mehr Infos zum „DOLPO PROJECT“ gibt’s hier: www.facebook.com/dolpoproject (Kontakt: info@upperdolpo.org).
Wenn Peter Hinze nicht den Spuren nach dem Glück folgt, ist er als Trailrunner in den Bergen unterwegs. 2021 startet er u.a. beim Schwarzach Ultratrail über 47km, Lavaredo UltraDolomiti (80km) in Cortina, Matterhorn Ultraks (49km) in Zermatt sowie beim UTLW (54km) in Lam. Und kam in der Altersklasse 60+ jeweils unter die Top-5. Saisonhöhepunkt 2022: der ZugspitzultraTrail (ZUT) in Garmisch über 106km. Weitere Infos zu Peter Hinze gibt’s auf der Website: greathimalayatrailrun.com
Die Details:
Verlag: NATIONAL GEOGRAPHIC
Ausgabe: 22.10.2021
Titel: 100.000 Schritte zum Glück: Wie ich im Himalaya die Leichtigkeit des Lebens entdeckte
Autor: Peter Hinze
Inhalt: 192 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen bzw. auch als e-Book verfügbar
ISBN-10/13: 3866907788 / 9783866907782
Preis: 22,99 Euro (Hardcover) / 17,99 Euro (e-Book)