Rezension – Tyrolia Verlag / Tom Dauer: „Kurt Albert – frei denken, frei klettern, frei sein“ – eine Biographie

von | 10. Februar 2021 | Allgemein, Interviews und Potraits, Outdoornews

„Rotpunkt-Kletterei“ – wenn es Athleten gelingt, bereits zu Lebzeiten alpine Geschichte zu schreiben, indem diese einfach ihrer größten Leidenschaft nachgehen, dann dürfte das allein schon Auszeichnung genug sein. Wenn sich dann auch noch einer der bekanntesten Autoren der Bergsteigerszene die Mühe macht, eine Biographie niederzuschreiben, wurden sprichwörtlich alle Register gezogen. Tragisch wird es allerdings dann, wenn das Schicksal viel zu früh zugeschlagen hat und eben jene aus der Wand reißt, denen so viele ihre eigene Leidenschaft zu verdanken haben. 2020 jährte sich solch ein Unglück zum zehnten Mal, war es doch der 28. September 2010 als sich die Nachricht über den Tod eines der bekanntesten Gesichter der Kletterszene, Kurt Albert, wie ein Lauffeuer verbreitete. Was seitdem geblieben ist, sind Trauer, Fassungslosigkeit und tiefe Ehrfurcht vor einem Leben, das viel zu früh beendet wurde. Was jedoch ebenso bleibt, ist das förmlich in Stein gemeiselte Vermächtnis eines großen Charakters, das Tom Dauer nun akribisch aber dennoch feinfühlig und unterhaltsam auf Papier gebannt hat. Wir haben die im Tyrolia Verlag veröffentlichte Biographie für euch gelesen.

Kurt Albert – ein ganzes Leben für den Klettersport

Kurt Albert wurde 1954 in Nürnberg geboren und kam erst relativ spät mit dem Klettersport in Berührung. Das hielt den damals 14-Jährigen jedoch nicht davon ab, sich innerhalb kürzester Zeit zu einem der renommiertesten Alpinisten und Klettersportler aller Zeiten zu entwickeln. Bis heute gilt er gemeinsam mit Wolfgang Güllich als einer der wichtigsten Pioniere der internationalen Freikletterbewegung, die in den mehr als 1.000 Massiven und Türmen des Frankenjuras eines ihrer Zentren besaß. Hier markierte der Franke ab 1975 jede seiner Touren, die er sturz- und ruhefreie im Vorstieg frei begangen hatte, mit einem roten Punkt und gilt seitdem als Begründer einer eigenständigen Kletterdisziplin, dem Rotpunktklettern bzw. dem bis heute weltweit anerkannten Stil im Freiklettern. So meisterte Albert mitunter die schwierigsten Routen Deutschlands, die von Klettersportlern aus aller Welt bis heute als Extremklassiker bewertet werden. Mit zahlreichen Erstbegehungen hinterließ Albert zudem Spuren an den Bergen in aller Welt.

Rezension - Tyrolia Verlag / Tom Dauer: "Kurt Albert - frei denken, frei klettern, frei sein" - eine Biographie

Auch der Mensch Kurt Albert war alles andere als die Norm. So bestach er durch seinen scharfen Verstand, seine Offenheit gegenüber Menschen und neuen Ideen. Vor allem war er aber von den Naturwissenscharten fasziniert, denen er sich später beruflich als Lehrer für Physik und Mathematik weiterhin widmete. Gepaart mit seiner ungebrochenen Abenteuerlust, seinem ganz eigenen Charme und einer einzigartigen Aura. Eigenschaften, die ihn nachhaltig zum Mittelpunkt einer sportlich-gesellschaftlichen Subkultur werden ließen, deren Einflüsse weit über das Klettern und Bergsteigen selbst hinausgingen. Denn mit seiner Philosophie und seiner Art, die Dinge anzugehen, veränderten sich Traditionen, Werte und Denkmuster. Vor allem im Klettersport, wodurch sich dieser durch das Zutun von Albert und seine Zeitgenossen zum Breitensport entwickelte. Eine Entwicklung, deren ökonomische und ästhetische Bedeutung noch heute in vielen Teilen der Gesellschaft deutlich sichtbar sind. So könnte man Kurt Albert durchaus als eine Art „Stilikone der Freiheit“ bezeichnen, führte er doch in überaus konsequenterweise ein freies und vor allem weitestgehend unabhängiges Leben.

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Mit der im September 2020, pünktlich zum 10. Todestag von Kurt Albert vorgelegten Biografie, füllt der mehrfach ausgezeichnete Autor und Filmemacher Tom Dauer so manche Erinnerungslücke im Leben des Ausnahmesportles. Basierend auf ein bislang nicht zugängliches privates Text- und Bildarchiv von Kurt Albert sowie auf Gesprächen mit Weggefährten und Zeitzeugen versucht der Autor, dem bekannten Tausendsassa neues Leben einzuhauen. Dabei will das Buch vor allem leidenschaftliche Bergsportler ansprechen, die sich dem Klettern und dem Alpinsport in all seinen Facetten verschrieben haben. Zugleich soll aber auch ein Lebensgefühl greifbar und begreifbar gemacht werden, das eine ganze Epoche geprägt hat. Eine Leseprobe findet ihr hier.

Über den Autor und Filmemacher Tom Dauer

Tom Dauer, geboren 1969, wuchs in Mexico City und München auf. Seine Eltern lehrten ihn die Berge lieben, später verbrachte er viele Jahre reisend und bergsteigend in den Alpen, den Anden und im Himalaya. Heute arbeitet der Literatur- und Politikwissenschaftler und Absolvent der Deutschen Journalistenschule am liebsten in den Gebirgen der Welt, sei es als Autor oder Filmemacher. Und warum? Weil er dort Leidenschaft und Beruf ganz bequem miteinander verbinden kann. Mit Kurt Albert verbindet den bekannten Bergsport-Redakteur und Filmfestival-Initiator vor allem die gemeinsame Faszination für das Klettern und den Alpinismus. So schrieb Tom Dauer gleich mehrere Bücher über die unterschiedlichsten Bergsportler wie bspw. Reinhard Karl und teilte im Zuge der Erstellung seines Standardwerks „Cerro Torre – Mythos Patagonien“ mit Kurt Albert wochenlang eine Holzhütte im Basislager des Fitz Roy. Zudem schreibt der 1969 geborene „Freigeist“ für „Geo“ und „National Geographic“ und ist Kolumnist für das Magazin „Alpin“, verfasst Drehbücher und führt Regie bei bekannten Dokumentarfilmen wie zum Beispiel „Streif – One Hell of a Ride“. Mittlerweile lebt und wohnt Tom Dauer in einem Einödhof zwischen München und dem bayerischen Alpenrand, wo er seinem Idol vor allem hinsichtlich dessen wichtigstem Ideal nacheifern kann – stets unabhängig zu bleiben.

Das Fazit von Veit: Alles andere als eine langweilige Biographie mit stupide aneinander gereihten Lebenspunkten

Zugegeben, ich bin kein sonderlich guter Kletterer und ein noch schlechterer Freikletterer. Doch Kurt Albert ist mir dennoch ein Begriff. Aber nicht wegen seiner Rotpunktkletterei, sondern vor allem wegen seines Auftritts in Stefan Glowaczs Abenteuer-Doku „Jäger des Augenblicks – ein Abenteuer am Mount Roraima“. Das war 2013, also drei Jahre nach dem tragischen Unglück. Nichtsdestotrotz gelang es Kurt Albert, mich mit diesen wenigen Momenten in seinen Bann zu ziehen. Wie muss es also erst gewesen sein, ihm persönlich zu begegnen, mit ihm zu klettern oder in seiner Wohngemeinschaft über die Welt zu philosophieren? Zumindest Tom Dauer durfte es und ich konnte den Autor persönlich kennenlernen.  Der mit Sicherheit vom gleichen Schlag sein dürfte, wie das Kletteridol einer ganzen Generation. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich die Biographie regelrecht verschlungen habe, konnte ich die beiden Charaktermenschen doch ein stückweit auf meiner eigenen „Kopfbühne“ zusammenbringen.

Mit viel Liebe zum Detail und mit einem ungemeinen Rechercheaufwand hat der Autor ein komplettes Leben zusammengetragen, damit der Leser zumindest eine Idee von der Welt Kurt Alberts bekommen kann. So liest sich das Werk auch nicht wie eine Biopgraphie, bei der irgendwelche historischen Daten und Fakten rasterhaft aneinander gereiht werden. Nein, Tom Dauer gelinkt es, mit seiner wunderbar bildhaften Sprache einen regelrechten Film vor dem inneren Auge ablaufen zu lassen, sodass man am Ende der Überzeugung ist, man wäre in den 70er Jahren im Frankenjura leibhaftig dabei gewesen. Man spürt regelrecht mit jeder Zeile, wie nahe sich Tom Dauer seinem Gegenüber fühlen mag – und sei es nur, weil er durch die Gespräche mit Bekannten, Verwandten und Wegbegleitern tief in das Leben von Kurt Albert eingetaucht ist. Eine Perle alpiner Literatur, wie so viele Texte aus der Feder eines meiner Idole der schreibenden Zunft.

Mein Gesamtfazit: Das Lebenswerk von Kurt Albert hätte keinen besseren Rahmen verdient, als in der Form des von Tom Dauer mit viel Hingebung „niedergeschriebenen Denkmals“. Ich bin gespannt, ob sich der Autor vielleicht die Mühe machen wird, ein dazugehöriges Biopic auf die Leinwand zu bringen – an mangelnder Expertise dürfte es schon mal nicht scheitern. 😉

Die Details:
Verlag:
Tyrolia Verlag
Autor: Tom Dauer
Format:
225 mm x 150 mm
Inhalt:
350 Seiten mit ca. 100 farbigen Abbildungen
ISBN: 978-3-7022-3874-2
Preis: 29,95 Euro

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