Auf den ersten Blick mag Rudolf Hauser irgendwie nicht so wirklich in die Salzburger Bergwelt passen. Wirkt der sympathische Österreicher mit seinen langen blonden Haaren, dem wettergegerbten Gesicht und dem mit Aufklebern zugekleisterten VW-Bus doch eher wie ein Surfer, der sich in die Alpen verirrt hat.
Spätestens aber, wenn man dem gebürtigen Pongauer beim Klettern beobachtet, wird klar, dass der anfängliche Vergleich mit einem wellenreitenden Beach Boy gewaltig hinkt. Um mit dem gerade einmal 34 Jahre jungen Extremsportler über seine Leidenschaft fürs Eis- und Felsklettern zu plaudern, haben wir den aktuell vielleicht besten Profi-Eiskletterer Europas in seiner Heimat besucht und mit ihm über seine Idole, seine Doppelrolle als Vater und LOWA Athlet sowie über seine Ängste gesprochen – natürlich stilecht bei einer kurzen Mehrseillänge am Fels und beim Sportklettern im Klettergarten.
Rudi Hauser hobelt Späne und Routen – vom Profi-Tischler zum Profi-Kletterer
Als Kind hatte Rudi Hauser eigentlich überhaupt keinen Zugang zum Klettersport. Klar ist er in den Bergen aufgewachsen, aber schlussendlich muss man erst einmal zum Bergsteigen oder zum Klettersport kommen. Schließlich stieg man früher maximal zum Arbeiten in luftige Höhen hinauf. Während das eine eher als unnütz galt und keiner so wirklich brauchte, war das andere weitaus wichtiger, wenn man überleben wollte.
Der erste Kontakt zur Kletterei entstand schließlich beim Bundesheer in Gamseck im Lungau, wo er bei den Gebirgsjägern seine Ausbildung absolvierte. Zwar interessierte ihn das Militärische eher weniger, aber immerhin war es eine „durchaus coole Zeit in den Bergen“. Und mit den Leuten, die er dort kennengelernt hatte, ging er auch nach dem Wehrdienst weiterhin zum Klettern. Im Alter von 19 Jahren nicht gerade ein frühzeitiger Einstieg, wenn man sich die Nachwuchsprofis von heute so anschaut.
Erst relativ spät entdeckte der 1982 im Salzburger Land geborene Österreicher also seine eigentliche Leidenschaft für den Sport in der Vertikalen. Stattdessen konzentrierte sich Rudis Hauser anfänglich voll und ganz auf seine Ausbildung als Schreiner. Einem Handwerk, mit dem er auch heute noch rund 30% seiner monatlichen Einnahmen abdeckt, in dem sich der Gasteiner quasi nebenberuflich als Kunstschreiner und Messebauer verdingt. Dass er etwas von Holz versteht, erkennt man spätestens dann, wenn sich die Türen seines VW-Bus öffnen und man ein schlau durchdachtes Konstrukt aus Bett und Schiebekästen bestaunen kann.
Dennoch sollten am Ende nicht nur Stechbeitel und Holz die alltäglichen Arbeitsmittel darstellen, sondern ebenso Eisgeräte, gefrorene Wasserfälle und Felswände. Zumindest nach der erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung zum staatlich geprüften Berg- und Skiführer im Jahr 2005 war klar, dass Rudi neben der Tischlerei auch noch eine andere berufliche Laufbahn einschlagen würde. Dabei hatte er nie den Hintergedanken oder die Absicht, das Klettern einmal hauptberuflich auszuüben. Geschweige denn, davon leben zu können. Für ihn war es eher wie ein erfolgreich bestandener Abschluss vergleichbar mit einer Meisterprüfung beim Tischlern, aber eben im Bereich Klettern.
Es ist seine Familie, die ihn zu Höchstleistungen antreibt.
So wurde aus dem anfänglichen Nachzügler binnen kürzester Zeit ein ehrgeiziger Bergsportler, der mittlerweile ganz selbstverständlich den Vorstieg übernimmt und dabei nicht selten Kopf und Kragen riskiert. Unter den besorgten Blicken seiner Frau und seiner 11jährigen Tochter, die sich beide aber längst an das riskante Treiben des Familienvaters gewöhnt haben und ihn bei all seinen Vorhaben maßgeblich unterstützen. Doch wie bringt man die Doppelrolle als Familienvater und Profi-Athlet eigentlich unter einen Hut?
Laut Rudi ist es gar nicht so ein Husarenritt wie man es eigentlich vermuten würde. Natürlich braucht es vor allem einen sehr toleranten Partner. Aber wenn man es sich so wie Rudi saisonal ganz gut einteilen kann, dann ist es im Grunde alles gar nicht mehr so zeitkritisch. So wird im Frühjahr und im Herbst bevorzugt Holz gehobelt und in den restlichen Jahreszeiten rieseln statt Späne entweder Schneekristalle oder feinstes Chalkpulver durch seine Hände.
„Für mich ist es aber vor allem der Rückhalt meiner Familie, meiner Freunde und meines gesamten privaten Umfelds, die mich beflügeln und mich immer wieder zu Höchstleistungen antreiben“, erklärt Rudi Hauser das Geheimnis für seinen Erfolg als Profi-Klettersportler. Wobei er gar nicht einmal trennen mag zwischen Eis- und Felskletterei und sich so oder so auf das Projektieren von Routen freut.
Auf die Frage hin, inwieweit Angst dabei eine Rolle spielt und wie seine Familie damit umgeht, beschreibt er sein bisher größtes Projekt mit folgenden Worten: „In jenem Winter war ich mehr als ich 60 Tage am Stück im Eis. Da entwickelst du einfach eine Art Flow und denkst nur noch wenig nach. Körperlich bist du dann durchaus in der Lage, solch ein Projekt zu meistern. Moralisch musst du dich allerdings doch immer wieder aufs Neue fragen, wie weit du wirklich gehen willst“.
Nur wer frei im Kopf ist, dem kann auch Großes gelingen.
Demnach war es in jenem Winter kein edler und romantischer Zugang wie man es vom Bergsteigen her sonst so kennt. Also nix mit „du wachst morgens in einem Zelt auf und denkst, hey heute ist der perfekte Tag für die Tour und alles passt wunderbar“. Eigentlich herrschte eher eine depressive Stimmung, die Rudi Hauser bei diesem Projekt angetrieben hatte. Und trotz des eher negativen Beigeschmacks hat es am Ende dennoch geklappt. Trotz aller Risiken und der Angst, dass etwas passieren könnte.
Es muss also nicht immer der heroische Ansatz sein, der am Ende zum Erfolg führt. Die eigentliche Angst – auch die der Familie – versucht er allerdings gar nicht erst nach innen zu tragen. „Alle wissen, was ich dort draußen tue. Aber keiner weiß, was ich konkret in dem Moment mache oder was alles passieren kann“, erklärt Rudi Hauser den Umgang mit diesem Thema. Demnach wird zwar respektiert, dass natürlich immer etwas passieren kann, aber es steht nicht ständig im Raum und wird andauernd diskutiert.
Dadurch ist Rudi Hauser relativ frei im Kopf, wenn er sich eine Route vornimmt. Und auch den Druck seitens Sponsoren würde er bei seiner Kletterei nie zulassen. Denn in erster Linie macht der Pongauer alles für sich selbst und aus Liebe zu einem Projekt. Und nicht, um die Erwartungen einer Marke zu erfüllen, die ihn sponsert. Das, so sagt er, habe er mit der Zeit gelernt. Schließlich besteht gerade in jungen Jahren immer eine gewisse Gefahr, dass sich Profilierungssucht breit macht.
Genau deshalb schätzt er auch die Zusammenarbeit mit den Bergschuhspezialisten von LOWA, die ihn seit 2010 unterstützen. So gleicht die enge Zusammenarbeit mit dem Ausrüstungspartner eher einer sehr guten Freundschaft als einer rein geschäftlichen Kooperation. Angefangen hatte alles mit dem Red-Bull-Projekt X-Ice, bei der Rudi Hauser in nur knapp 10 Stunden gleich drei gefrorene Wasserfälle auf einmal durchstieg. LOWA trug damals mit Eiskletterschuhen entscheidend zum Gelingen dieses ambitionierten Vorhabens bei.
Spaß statt Leistungsdruck – so wichtig sind die richtigen Partner.
Den eigentlichen Grundstein legten aber seine Eltern, die in Innsbruck ein eigenes Sportgeschäft besitzen und bis dato als einer der größten LOWA-Händler in ganz Österreich galten. Der Laden war quasi bis unter die Decke vollgestopft mit Berg- und Wanderstiefeln von LOWA, in dem sich der kletternde Tischler damals als Sportartikelverkäufer ein Zubrot verdiente.
So lag es nahe, dass er die Schuhe irgendwann einmal zum Bergsteigen anzog, um den ein oder anderen Gipfel zu besteigen. Daraus hervorgegangen ist schlussendlich eine langjährige Partnerschaft auf Augenhöhe, die im Jahr 2012 darin gipfelte, dass Rudi nicht nur Teil des LOWA Pro-Teams wurde, sondern mit seiner langjährigen Erfahrung und seiner ganzen Expertise mittlerweile auch zur kontinuierlichen Entwicklung neuer Kletter- und Zustiegsschuhe sowie professioneller Bergstiefel beiträgt.
Auch wenn in dem Sinne keine direkte Interaktion zwischen Athleten und der Entwicklung selbst stattfindet wie man es eigentlich vermuten würde. Vielmehr sind es ganztägige Athletenmeetings, bei denen die allgemeine Meinung aller Athleten des Pro-Teams als Gesamtes eingeholt und bei der Entwicklung neuer Schuhmodelle wie bspw. bei dem neuen Kletterschuh-Modell „LOWA ROCKET“ berücksichtigt werden. „Meistens steht der eigentliche Prototyp dann schon vor uns und wir geben dann „nur“ noch unser Feedback dazu, damit gewisse Details noch angepasst werden“ beschreibt Rudi Hauser solch ein Meeting. Was zählt ist am Ende allein das Ergebnis.
Vom einstigen Schuhverkäufer zum besten Markenbotschafter
Innovatives Schuhwerk, das den gelernten Schreiner bei vielen seiner bisherigen, waghalsigen Free Solo Projekte in den nördlichen Kalkalpen sowie bei der Durchsteigung diverser extrem schwieriger Kletter- und Eisrouten in aller Welt begleitet hat. Als einer der spektakulärsten Erfolge zählt dabei wohl die Solobesteigung des 270 Meter hohen gefrorenen Wasserfalls „Supervisor“ (WI6, 270m), die als die schwierigste Eiskletterroute in Österreich gilt. Natürlich handschlaufenlos und ohne Zuhilfenahme technischer Mittel – in gerade einmal 1 Stunde und 40 Minuten.
Zur Orientierung: Die Seilschaft der Erstbegeher benötigte im Jahr 1991 immerhin noch ganze 8 Stunden! Aber auch die erfolgreiche Free Solo Durchsteigung der beiden Routen „Freier als Paul Preuß“ (UIAA 7) am Hochkönig und „Pipeline“ (UIAA 7+) am Hochkogel innerhalb von nur knapp 12 Stunden zeugen von der überaus starken Psyche und der enormen körperlichen Fitness von Rudi. Eigenschaften, die auch bei seinen nächsten geplanten Projekten wieder voll und ganz zum Tragen kommen – sei es bei der Durchsteigung einer der schwierigsten Mixed-Routen in den drei größten Eishöhlen im Salzburger Land oder beim Deep Water Solo Eisklettern in der Antarktis.
Doch auch wenn eines seiner größten Projekte alles andere als gerade um die Ecke liegt, geht es dem Profi-Kletterer in der Regel nur um die Realisierung von Zielen und Träumen, die er in seiner direkten Umgebung verwirklichen kann. „Ich muss nicht extra zum Cerro Tore fahren“ oder wie es Alexander Huber von den HuberBuam einmal so schön formulierte: „Der 11. Grad befindet sich eigentlich vor der Haustüre“. So findet der kletternde Schreiner nur eine Autostunde von daheim entfernt so unglaublich viele Möglichkeiten und kann es dementsprechend schwerlich verstehen, wieso trotzdem alle immer zu den „mehr oder weniger abgelatschten Prestigegipfeln“ rennen.
Dabei gibt es doch so viele wunderbare Projekte, die man für sich selbst definieren kann und dennoch vermutlich von kaum jemandem wiederholt werden. Aber genau das macht den Reiz solcher „NoName-Routen“ für ihn aus und er lebt seinen Sport wie eines seiner größten Kletteridole. So ist Beat Kammerlander für Rudi Hauser das Sinnbild für einen wahren Allrounder, der seine Leidenschaft noch so richtig mit Haut und Haaren lebt.