Das Buzzword „Nachhaltigkeit“ wird in der Outdoorbranche seit geraumer Zeit ziemlich stark penetriert und mag dem ein oder anderen inzwischen bereits regelrecht zu den Ohren heraushängen. Gerade vor dem Hintergrund des Vorwurfs, dass einige Marken mit diesem Begriff eher eine Art „Greenwashing“ betreiben, lässt viele Frischluftfreunde an den hochgesteckten Zielen mancher Firmen zweifeln. Zu frisch sind doch die Erinnerungen an die von Greenpeace im Zuge der „Detox Kampagne“ aufgedeckten Hintergründe und die zutage geförderten Probleme einzelner Unternehmen in der eigenen Lieferkette. Nicht selten sind eben jene Probleme dabei mehr oder weniger hausgemacht, stehen sich unternehmerisches und nachhaltiges Handeln scheinbar doch immer wieder diametral entgegen.
Nachhaltigkeit meint heutzutage aber längst nicht mehr nur jene Ziele, die sich auf eine möglichst geringe Belastung der Umwelt beziehen. Mit Nachhaltigkeit ist auch der Anspruch eines Unternehmens gemeint, der Gesellschaft sowie den eigenen Mitarbeitern etwas zurückzugeben und das soziale Miteinander zu fördern, um sowohl die Gegenwart als auch die Zukunft gemeinsam gestalten zu können. Während sich auf dem nordamerikanischen Kontinent der Outdoorspezialist Patagonia ganz besonders diesem Thema widmet, kann sich hierzulande der Ausrüster VAUDE mit weißer Weste präsentieren. Mit Erfolg, wie die zahlreichen Nachhaltigskeits-Awards beweisen, mit denen das Unternehmen mit Hauptsitz in der Nähe der baden-württembergischen Stadt Tettnang am Bodensee regelrecht überhäuft wird. Zu recht wie wir bei einem Besuch vor Ort herausfinden durften, denn über Nachhaltigkeit wird hier nicht nur geredet, sondern sie wird auch gelebt – angefangen beim Green Shape Label für umweltfreundliche Produkte über die Integration von Flüchtlingen bis hin zum „hauseigenen“ Freibad.
Nachhaltigkeit als Ergebnis ausgebuffter Marketing-Strategien?
Zugegeben, ich bin nicht ganz vorbehaltlos in Richtung Bodensee aufgebrochen und rolle beim Thema Nachhaltigkeit meistens auch nur noch mit den Augen. Allerdings wollte ich mir wenigstens einmal vor Ort ansehen, was nun tatsächlich hinter den vielen Auszeichnungen steckt und ob VAUDE nur eine ausgebuffte Marketing-Strategie fährt. Mitten im Nirgendwo strande ich – umgeben von Apfelplantagen – im beschaulichen Örtchen Obereisenbach. Hier steht das für ein solch erfolgreiches Unternehmen doch recht unscheinbare Firmengebäude des Outdoor-Ausrüsters. Parkplätze sind Mangelware. Dafür ragt direkt am Eingang eine Kletterwand empor, die offensichtlich für Jedermann frei zugänglich zu sein scheint. VAUDE hat passend zum Thema zur Besichtigung der „Made in Germany“ Produktion geladen, die mit Inbetriebnahme der neuen Werkshalle am 02. Januar 2017 wieder an alter Stelle aufgenommen wurde, da die bisherige Produktionsstätte nach einem Blitzschlag im Jahr 2015 komplett abgebrannt war.
Insgesamt 42 Mitarbeiter arbeiten in der neuen „Manufaktur“ und fertigen auf einer Fläche von 1.800 m2 rund 100.000 Rad- und Lifestyletaschen sowie Rucksäcke pro Jahr. Um dabei einen möglichst geringen ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen, ist die Produktion laut eigenen Angaben zu 100% klimaneutral und nach EMAS öko-zertifiziert. Dafür sorgen allein die auf dem Dach des Gebäudes platzierte Fotovoltaik-Anlage, das bei regionalen Versorgern bezogene Erdgas und der über das Netz gezapfte Ökostrom von Lichtblick. „Alles was wir an Energie für die Produktion brauchen, erzeugen wir selbst,“ berichtet Dennis Klarenbach, Teamleiter Hochfrequenzschweißerei, sichtlich stolz. Aber auch bei der Produktion der komplett PVC-freien Kollektion kann der Outdoor-Ausrüster laut eigenen Angaben durch eine Materialeffizienz von mehr als 94% vom Input zum Output überzeugen. Ganz zu schweigen von den teils über 50 Jahre alten Stanzmaschinen, die noch immer im Einsatz sind.
Rund 100 Radtaschen laufen hier täglich „vom Band“ und wandern im Zuge von mindestens 14 Produktionsschritten und innerhalb von 30 Minuten reiner Fertigungszeit durch die geschulten Hände der Männer und Frauen aus insgesamt 19 Nationen. Hände, die auch geflüchteten Menschen aus dem Irak, Syrien oder anderen Ländern gehören und die im Rahmen eines Integrationsprogramms mit der Landesregierung von Baden-Württemberg einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz gefunden haben.
Antje Devitz – eine grüne Aktivistin mit Unternehmerinstinkt
Und dann taucht plötzlich wie aus dem Nichts Antje von Dewitz auf. Eher unscheinbar schiebt sich die sportliche und in lässigem Outfit gekleidete VAUDE-Geschäftsführerin an uns Besuchern vorbei. Spätestens jetzt ist klar, warum das Thema Nachhaltigkeit in diesem Unternehmen ganz groß geschrieben wird und alles andere als nur eine reine Floskel darstellt. Kaum dass die studierte Ökonomin die ersten Worte zur Begrüßung an uns Medienvertreter gerichtet hat, kleben die Zuhörer förmlich an ihren Lippen und lauschen gebannt ihrem Vortrag zur Geschichte des Familienbetriebs, ihrem Werdegang und der selbst auferlegten Markenphilosophie.
Zum Unternehmen gestoßen ist die umtriebige Mutter von vier Kindern während eines Praktikums im Jahr 1998, als ihr Vater Albrecht von Dewitz noch die Fäden in den Händen hielt. 2009 übernahm sie schließlich die gesamte Führung und verfolgt seitdem das ambitionierte Ziel aus der 1974 gegründeten Bergsportfirma das „nachhaltigste Unternehmen Europas“ zu formen. Getreu dem Motto: „Miss es oder vergiss es“ wird hierfür alles, was hinsichtlich des eigenen Umweltmanagements (Materialverbräuche, Energie, Klimabilanz etc.) auswertbar ist, analysiert und fortlaufend verbessert. Im Hinblick auf klimaneutrales Wirtschaften werden darüber hinaus nicht reduzier- oder änderbare Faktoren in Geld umgerechnet und in Naturschutzprojekte investiert – bevorzugt in China.
Spätestens an diesem Punkt merkt man, wieso Antje von Dewitz ursprünglich bei Greenpeace anheuern oder wenigstens als investigative Journalistin die Missstände auf unserer Erde bekämpfen wollte. Bei VAUDE wird nicht nur mit der Nachhaltigkeitskeule geschwungen, sie wird vielmehr als Mittel zum Zweck eingesetzt, um tatsächlich etwas in der Welt zu verändern. So wundert es auch nicht, dass sich die Unternehmerin ganz bewusst für den sozial- und letztendlich auch umweltverträglicheren Weg entschieden hat, die Produktion der Radtaschen nicht nach Fernost zu verlagern und stattdessen weiter am eigenen Firmensitz zu investieren.
Im Headquarter in Tettnang am Bodensee weht ein Hauch von „Vielbesserland“
Wie konsequent das Konzept „Made in Germany“ und vor allem das Thema Nachhaltigkeit bei VAUDE gelebt wird, zeigen auch die in der Wirtschaft gerne als weiche Faktoren bezeichneten Punkte wie flexible Arbeitszeitmodelle und Mobilitätskonzepte für eine bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben der rund 500 Mitarbeiter. So befinden sich aktuell mehr als 50 davon in Elternzeit und arbeiten 50% der Belegschaft nur auf Teilzeitbasis. Eine Fluktuation von 4,4% im Verhältnis zu den 14-16% im deutschlandweiten Vergleich spricht für sich. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass VAUDE einen eigenen und in Kooperation mit der Stadt betriebenen Kindergarten besitzt und den Mitarbeitern mithilfe eines betrieblichem Gesundheitsmanagements (BGM) diverse gesundheitsfördernde Maßnahmen wie Zirkeltraining, Zumba oder BauchBeinePo-Übungen anbietet.
Nachhaltigkeit geht bei VAUDE sogar so weit, dass die Türen der hauseigenen Bio-Kantine auch den Menschen aus der Region sowie Schülern und Besuchern offen stehen. Hinzukommend besitzt das Unternehmen mehr oder weniger ein eigenes und gut 40 Jahre altes Freibad, das in Kooperation mit der Stadt sowie einem Förderverein vor der Schließung bewahrt wurde. Und last but not least wurde bereits 2016 ein Flüchtlingsprojekt ins Leben gerufen, bei dem Materialreste aus der hauseigenen Produktion zu Shoppertaschen verarbeitet und die aus dem Verkauf der Upcycling-Produkte erwirtschafteten Einnahmen an soziale Initiativen gespendet wurden. Und das ist nur eines der zahlreichen sozialen Engegaments von VAUDE. So setzt sich das Unternehmen nicht nur im Rahmen der Initiative „WIR zusammen“ mit Bewerbungs-Coachings sowie speziellen Deutsch- und Sportkursen maßgeblich für die Integration von Flüchtlingen ein.
Wirtschaften um jeden Preis? Nicht mit Antje von Dewitz!
Wie dünn das Eis ist, auf dem sich Antje von Dewitz mit dieser Firmenphilosophie begibt, ist der erst jüngst mit dem Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg ausgezeichneten Unternehmerin durchaus bewusst. Dennoch steht die gesamte Belegschaft hinter dieser selbstdefinierten Identität und trägt mehr oder weniger auch das damit verbundene Risiko. Um dieses möglichst gering zu halten, lässt sich VAUDE und die eigenen rund 40 Produktionsstätten regelmäßig seitens der „Fair Wear Foundation“ auditieren, in welcher das Unternehmen selbst Mitglied ist. Zudem hat der Outdoor-Ausrüster als eines der wenigen Firmen der Branche das „Detox-Commitment“ von Greenpeace unterzeichnet und konnte dieses laut eigenen Aussagen von Anfang an mehr als nur erfüllen.
Alles Punkte und Faktoren, die sich über die Jahre in viel Anerkennung und noch mehr Auszeichnungen wiederspiegeln. Kein Wunder, wird in Obereisenbach wie überall sonst auch in erster Linie gewirtschaftet, aber nicht um jeden Preis. Oder um mit einem schönen Satz von Antje von Dewitz zu schließen, der mir ganz besonders „nachhaltig“ im Kopf geblieben ist: „VAUDE fertigt aktuell rund 5% seiner Produkte komplett in Deutschland und nimmt dadurch a deutlich geringere Margen in Kauf. Und warum? Weil es gut für die eigene Identität, für Innovationen und vor allem für den Standort sowie unsere Mitarbeiter ist“. Den aktuellen Nachhaltigkeitsbericht von VAUDE gibt’s unter: nachhaltigkeitsbericht.vaude.com. Weiterführende Infos zum „Made in Germany“ Konzept von VAUDE gibt’s hier: nachhaltigkeitsbericht.vaude.com