Freeriden stellt höchste Anforderungen an Wintersportler und immer mehr von ihnen suchen auch das Off-Pist-Vergnügen – aber auch immer mehr stürzen sich hinein, ohne sich über die Konsequenzen und die Gefahren im Klaren zu sein. Nur die wenigsten Freerider verfügen über die richtige Vorbereitung und das nötige Wissen rund um Ausrüstung, Lawinenthematik, Technik sowie das Verhalten in der Gruppe oder im Notfall. Damit gehen sie ein überaus hohes Risiko ein und gefährden das Leben von sich und anderen. Das wollen die Experten des Deutschen Skilehrerverbands (DSLV) verhindern und geben daher Tipps für den sicheren und richtigen Einstieg ins alpine Tiefschneevergnügen.
Langsam herantasten ist die Devise
Die Sicherheit hat beim Skifahren und Snowboarden abseits der Piste oberste Priorität. Deshalb steht für den Deutschen Skilehrerverband (DSLV) auch das Risikomanagement im Zentrum der Ausbildung und kooperiert mit dem Verband Deutscher Berg- und Skiführer (VDBS), der die Ausbildung der angehenden Schneesportlehrer im Bereich Risikomanagement außerhalb der gesicherten Pisten übernimmt. Das Risikomanagement umfasst dabei sowohl die Ausrüstung als auch die Vorbereitung rund um Wetter- und Lawinenlagebericht, die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten sowie der Bedingungen und vieles mehr. Warum? Weil erst die Aneignung umfangreicher Erfahrung das Risiko beim Off-Pist-Fahren auf ein Minimum reduzieren kann. Gerade Freeride-Neulinge sollten sich anfangs nur in Begleitung erfahrener und professioneller Begleiter ins Tiefschnee-Vergnügen wagen. Leider missachten viele Einsteiger diese Grundregel und stürzen sich mangelhaft ausgerüstet und ohne das nötige Know-how ins Gelände abseits gesicherter Pisten – die Folgen sind immer häufiger zu beobachten und dementsprechend viele (Lawinen-)Opfer zu beklagen.
Spaß nur in Verbindung mit Respekt
„Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht“, sagt DSLV-Ausbilder Tobias Heinle. Aber: Es gibt Maßnahmen, um sie zu maximieren. Dazu gehört das Studieren der Lawinenlage und des Wetterberichts vor jedem Ausflug ins Backcountry. Als Faustregeln gelten: Bei Lawinenwarnstufe 1 (gering) gibt es keine Einschränkungen im Befahren steiler Hänge. Bei Stufe 2 (mäßig) sind Hänge mit einer Neigung von 40 Grad und mehr tabu. Bei Stufe 3 (erheblich) dürfen sich die Tiefschneefans nur noch in Hängen mit maximal 35 Grad Steigung vergnügen. Die Stufe 4 (groß) sowie Stufe 5 (sehr groß) bedeutet ganz klar: Zuhause bleiben und besser ausschlafen. So lautet denn auch der Grundsatz: Lieber einmal ein Nein zu viel als ein Ja im falschen Moment. Und der Spaß im freien Gelände sollte stets nur in Verbindung mit Respekt erfolgen, wozu auch die Meidung von Wald- und Wildschutzzonen zählen. Denn es gibt nicht nur die persönlichen Grenzen, die es zu respektieren gilt.
Ausrüstung – Rocker-Ski, LVS-Gerät und vieles mehr
Wer nicht über eine adäquate Sicherheitausrüstung verfügt, für den ist das Gelände abseits gesicherter Pisten absolut tabu. Das stellen die Experten aus dem DSLV-Ausbildungsteam unmissverständlich klar. Ein Muss sind Helm und Rucksack mitsamt Sicherheitsausrüstung wie Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS-Gerät), Lawinenschaufel und Sonde sowie Handy, um notfalls Rettung rufen zu können. Auch ein Erste-Hilfe-Set sollte nicht fehlen. Beim Skistock empfehlen die DSLV-Experten große Schneeteller und setzen bei den Brettern bevorzugt auf die breite Rocker-Bauweise für einen besseren Auftrieb im Powder.
Einsteiger sollten auf eine Fullrocker-Konstruktion mit sehr wenig Auflagefläche unter der Bindung möglichst verzichten, betont Ausbilder Thomas Brunner. Freeride-Neulingen rät er vielmehr zu körperlangen Skiern mit einer Mittelbreite von rund 90 Zentimetern. Sie geben den nötigen Auftrieb und lassen sich recht gut steuern. Sobald sich Freerider ins Gelände wagen, das nicht direkt neben der kontrollierten Piste liegt, empfiehlt sich auch die Mitnahme eines Biwaksacks, eine Bindung mit Aufstiegsmechanismus sowie Felle. Denn es geht nicht nur darum, abgelegene Abfahrten zu erschließen, sondern um die nötige Sicherheit und optimale Voraussetzungen, um für den Notfall gerüstet zu sein. Auch die Skischuhe sollten über einen Gehmechanismus verfügen und mit einer rutschfesten Sohle ausgestattet sein. Eine Gebietskarte, Kompass und Höhenmesser sowie ein GPS-Gerät sind ebenso nützliche Helfer, die idealerweise immer mit an Bord sind.
Üben, üben und immer wieder üben
LVS-Gerät, Schaufel und Sonde einzupacken, ist das eine – entscheidend aber ist, damit auch unter Stress umgehen zu können. Alles einfach nur zu kaufen, reicht also definitiv nicht aus. Und auch das Lesen der Betriebsanleitung oder ein Trockentraining gehen unter keinen Umständen als ausreichende Vorbereitung durch. „Das eigene LVS-Gerät müssen angehende Freerider unter einigermaßen realen Bedingungen im Schnee kennenlernen. Vor allem muss jeder die komplette Kameradenrettung erlernen und immer wieder üben.“ so DSLV-Experte Brunner. In jeder Hinsicht muss das LVS-Gerät vor jeder Tour auf dessen Funktion und den Ladezustand der Batterien hin geprüft werden.
Generell stellt das Off-Pist-Fahren erhöhte Anforderungen an das Gleichgewichtsgefühl und die zu beherrschende Technik dar. Deshalb gilt: „Erst sollte man die Grundlagen auf der Piste üben und dann immer wieder auf kurzen, flachen Tiefschneepassagen neben der Piste das eigene Können testen“, rät Stefan Nieberle, Ausbilder beim DSLV. So bekommen die Skifahrer ein Gefühl für den höheren Widerstand und den optimalen Anstellwinkel ihrer Bretter. Zudem räumt der DSLV-Experte mit einem weit verbreiteten Vorurteil auf: Ein Zuviel an Rückenlage erleichtert das Kurvenfahren im Gelände nicht, sondern macht es mitunter deutlich schwerer, weil dadurch auch der Widerstand erhöht wird. Ein weiterer Tipp: Rocker-Ski lassen sich deutlich leichter steuern, da sie besser aufschwimmen. Auch eine gewisse Grundgeschwindigkeit hilft beim Schwingen, wobei sich viele erst einmal langsam an das nötige Tempo herantasten sollten. Oft ist es reine Kopfsache.
Verhalten am Berg – nie alleine, nie alle gemeinsam
Die Selbsteinschätzung ist entscheidend an jedem Tag im Backcountry und gilt für Einsteiger wie auch für erfahrene Freerider gleichermaßen. Das Bauchgefühl ist ein nicht zu unterschätzender Indikator. Beim kleinsten Zweifel sollte ein Nein offen kommuniziert und dementsprechend auch von der gesamten Gruppe akzeptiert werden. Jeder muss also für sich selbst entscheiden und darf sich nicht von der Gruppendynamik in eine Gefahrensituation bringen lassen. Dennoch gilt für das Off-Pist-Fahren ganz klar: Alleine losziehen ist tabu. Ebenso dürfen Steilhänge nicht gleichzeitig befahren werden, da dadurch der Druck auf den Hang enorm steigt und damit auch das Risiko, eine Lawine auszulösen. Zudem sollten Freerider niemals einfach fremden Spuren folgen – denn wer weiß schon, wohin sie führen. Und noch weniger sind sie ein Indiz dafür, dass sich nicht doch noch ein Schneebrett lösen kann.
Lernen von den Profis – Freeridekurse von DSLV und VDBS
Die DSLV Profi-Schulen bieten mit Unterstützung von staatlich geprüften Berg- und Skiführern professionelle Kurse speziell für den Freeride-Bereich an. Dank der neuen Zusatzausbildung für staatlich geprüfte Ski- und Snowboardlehrer, dem VDBS-Freerideguide, vermitteln hochqualifizierte Experten sowohl Fahrtechnik als auch Sicherheit im freien Gelände. Bereits ab der Qualifikationsstufe Level 1 schult der DSLV im Rahmen seiner Ausbildungslehrgänge die angehenden Skilehrer in technischen Grundlagen, die auch für ein erfolgreiches Tiefschneefahren von Bedeutung sind. Ab Level 3 startet dann die spezielle Ausbildung in punkto Risikomanagement außerhalb gesicherter Pisten und ab dem staatlich geprüften Ski- und Snowboardlehrer ist der Off-Pist-Bereich sogar fester Bestandteil der Ausbildung.
Hochwertige Ausbildungsinhalte von denen die Kunden nur profitieren können – nicht nur während der klassischen Skikurse. Denn darüber hinaus bietet der DSLV für Mitglieder und Nicht-Mitglieder spezielle Freeride-Seminare in ausgewählten Skigebieten an. Dabei begleiten ein staatlich geprüfter Bergführer sowie ein Ski- oder Snowboardausbilder eine Gruppe, in der jeder Teilnehmer die Einschätzung des Geländes und der Situation ebenso lernt wie die Anwendung der richtigen Fahrtechnik und -taktik. Auch klassische Fahrtechnikkurse gehören zum DSLV-Angebot, die sich gerade für Freeride-Einsteiger eignen. „So können Defizite sofort erkannt und verbessert werden, bevor sie sich überhaupt erst einschleifen“, betont DSLV-Ausbilder Tim Fritz. Eines aber müssen sich alle Tiefschneefans selbst beibringen: die realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten. Wer diesen Punkt beachtet, wird mit Sicherheit und auf lange Sicht mehr Spaß im Backcountry haben.
Quelle: Deutschen Skilehrerverbands (DSLV)