Filmkritik – MÄRZENGRUND: Wie radikal darf das Leben im Einklang mit der Natur sein, um wirklich frei zu sein?

von | 23. August 2022 | Filmfestivals, Events

Outdoormenschen sind in erster Linie Sinnsuchende, die bevorzugt draußen zur Ruhe kommen und dort ihre Seele baumeln lassen wollen. Warum das so ist, lässt sich zumeist nur schwer definieren. Es ist halt einfach so. In der Regel könnte man das zu beobachtende Phänomen aber auch dadurch erklären, dass gerade in besonders stressigen oder anstrengenden Lebensphasen vor allem die dort zu findende Einfachheit des Seins dazu führt, dass der Geist vollumfänglich abschalten kann – je stiller, karger und einfacher die Umgebung, umso besser. So manchen zieht es aber auch gerade deshalb in die Berge, um gezielt Abstand von der Welt zu nehmen, sich vom Hier und Jetzt abzunabeln und zumindest für eine Weile das quirlige Treiben im Tal hinter sich zu lassen.

Und genau dieses Entsagen von jeglichem Komfort, dieses ganz natürliche sich Ergeben in den Lauf der Dinge und das auf den kleinsten Nenner reduzierte Dasein sorgt für das, wonach viele Menschen ein Leben lang streben, aber nie erreichen: absolute Freiheit im Einklang mit der Natur. Eine Freiheit, die im neuen Film „MÄRZENGRUND“ von Regisseur Adrian Goiginger mit beeindruckenden Bildern transportiert wird und bei den Kinobesuchern auf ganz stille Weise ihre Spuren hinterlässt.

Geschichte über ein radikales Leben im Einklang mit der Natur

Als Sohn eines reichen Großbauern im Zillertal scheint der Lebensweg des 18-jährigen Elias (Jakob Mader) vorbestimmt: Bald schon soll er in die Fußstapfen seines Vaters treten und den Hof der Familie übernehmen. Doch der sensible junge Mann kann und will die an ihn gestellten Erwartungen nicht erfüllen. Weil ihm andere Dinge im Leben deutlich wichtiger sind, weil er die traditionellen Werte, die körperliche Arbeit auf dem Feld oder die tägliche Schinderei für ein halbwegs normales Leben im Wohlstand nicht als das Maß der Dinge ansieht. Zumindest nicht für sein eigenes Leben.

Weil er sich lieber guter Lektüre widmet und seinem Herzen folgen möchte. So dauert es denn auch nicht lange, bis der Jungbauer mit seinem Vater in einen generationsbedingten Interessenskonflikt gerät. Als er sich dann auch noch in die geschiedene Moid (Verena Altenberger) verliebt und diese Beziehung seitens der Eltern, vor allem in Gestalt seiner eifersüchtigen Mutter (Gerti Drassl) unterbunden wird, folgt eine schwere Sinnkrise, die ihn regelrecht psychisch krank macht und körperlich zusetzt. Nachdem er eines Tages ohnmächtig zusammenbricht, attestiert ihm der Hausarzt eine gewisse „Schwermütigkeit“, die sich negativ auf dessen Gesundheit auswirke und die nur in einem Internat geheilt werden kann.

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Doch anstatt den Worten des Mediziners zu folgen und seinen Sohn für mindestens 6 Monate fortzuschicken, trifft der Vater (Harald Windisch) eine andere Entscheidung und verordnet Elias eine gewisse „Auszeit“ auf der hauseigenen Hochalm „Märzengrund“ inmitten in der Tiroler Alpen. Dort soll dieser wieder zu Kräften kommen und den Verlockungen der modernen Gesellschaft entsagen sowie die um einige Jahre ältere, geschiedenen Frau aus dem Kopf schlagen. Was anfänglich wie eine Strafe oder gar ein Gefängnis in der wilden Natur erscheint, entpuppt sich für den jungen Mann allerdings als eine willkommene Möglichkeit, sich frei zu entfalten und losgelöst von allen seelischen Belastungen und der familiären Enge endlich frei atmen zu können. Imer wieder schreibt er seiner großen Liebe Briefe und lässt diese von einem befreundeten Jäger der Schwester bringen, die diese an Moid weiterleiten solle.

MÄRZENGRUND

© 2022 PROKINO Filmverleih GmbH / Metafilm

Doch als die Schwester von Elias eines Tages zu Besuch kommt und ihm die gesammelten Briefe zurückgibt, entschließt sich der seelisch gezeichnete junge Mann dem Leben unten im Tal gänzlich den Rücken zu kehren. Um schließlich noch weiter hinauf, immer höher, bis weit über die Baumgrenze in die Berge zu ziehen, wo er in einer selbst errichteten Schutzhütte für sich ein eigenes kleines Reich errichtet. Hier endlich findet Elias das, wonach er sich unten im Tal immer gesehnt hat: die bedingungslose Freiheit. Bis ihn eines Tages ein schwerer Schicksalsschlag dazu zwingt, ins Tal zurückzukehren und sich erneut mit seiner eigenen Vergangenheit und der gestörten Beziehung zu seiner Mutter auseinanderzusetzen.

Frei nach dem gleichnamigen Theaterstück von Felix Mitterer

MÄRZENGRUND ist die wahre und berührende Geschichte eines jungen Mannes, der sich Ende der 1960er Jahre für ein radikales Leben im Einklang mit der Natur entscheidet. Wobei der Spielfilm auf einem Theaterstück des renommierten österreichischen Dramatikers Felix Mitterer basiert. Zum renommierten Cast von MÄRZENGRUND neben dem Newcomer Jakob Mader auch die aus Kino und Fernsehen bekannten Schauspielgrößen wie Johannes Krisch (“Vienna Blood”, “Altes Geld”), Verena Altenberger (“Die Beste aller Welten”, Wild Republic – Die Wildnis ist in uns”, “Polizeiruf 110”) und Gerti Drassl (“Vorstadtweiber”, “Der Trafikant”). Gedreht wurde überwiegend im Zillertal, im Sellrain, am Hintersteiner See und an zahlreichen weiteren Orten in den Tiroler Alpen.

Märzengrund profilm kritik

© 2022 PROKINO Filmverleih GmbH / Metafilm

Regisseur Adrian Goiginger machte vor allem mit seinem im Jahr 2017 vielfach ausgezeichneten Spielfilmdebüt “Die Beste aller Welten” auf sich aufmerksam und bewies schon damals ein großes Gespür für präzise Figurenzeichnungen. In seinem zweiten Film „MÄRZENGRUND“ widmet er sich erneut den brennenden Fragen unserer Zeit, ohne diese direkt an die Betrachter zu richten. So kann sich jeder selbst die Antworten darauf geben: In welcher Welt wir leben wollen? Nach welchen Werten wir uns ausrichten wollen? Und in welchem Verhältnis  individuelle Freiheit und gesellschaftliche Anpassung für uns zueinander stehen?

MÄRZENGRUND selbst ist eine Produktion von Metafilm und WHee-Film in Koproduktion mit it Media, hergestellt mit Unterstützung des Österreichisches Filminstituts (ÖFI), des ORF Film/Fernsehabkommens, der FISA – Filmstandort Austria, des Filmfonds Wien (FFW), von SWR / Arte sowie der Cine Tirol und gefördert von der MFG Filmförderung. Die Prokino Filmverleih GmbH zeigt sich verantwortlich dafür, dass der Film ab 25. August offiziell in den deutschen Kinos startet und auf großer Leinwand zu sehen ist.

Filmkritik zu MÄRZENGRUND: Wunderschöne Landschaftsaufnahmen gepaart mit einem gesellschaftskritischen Blick auf den ewigen Kampf zwischen Tradition und Moderne

Wer generell deutschsprachige Filme wie „Das finstere Tal“, „Das Wunder von Wörgl“ oder „Das weisse Band“ mag oder ein Faible für gutes Programmkino besitzt, sollte sich MÄRZENGRUND definitiv ansehen. Wer obendrein viel Wert auf wundervolle Landschaftsaufnahmen legt, für den ist das schon jetzt viel beachtete Werk auf großer Kinoleinwand ein absolutes Muss. Denn der zweite Film von Regisseur Adrian Goiginger ist nicht einfach nur ein bildgewaltiger „Heimatfilm“, der melancholisch auf längst vergangene Zeiten zurückblickt. Vielmehr ist es poetische Gesellschaftskritik, welche die erdrückende Last traditioneller Werte innerhalb einer dörflichen Gemeinschaft auf subtile Weise einfängt und abbildet. Unabhängig davon weckt der fast zweistündige Film (110 Minuten) eine unfassbare Sehnsucht nach den unendlichen Weiten der Berge und der natürlichsten Verbindung des Menschen zur uns allumgebenden Mutter Natur.

Märzengrund Mann läuft den Berg hoch

© 2022 PROKINO Filmverleih GmbH / Metafilm

Etwas verwirrend muss man als Betrachter zu Beginn zwar in der zeitlichen Abfolge etwas später im Geschehen einsteigen und kehrt dann kurzerhand zur Erzählung der persönlichen Lebensgeschichte des Hauptprotagonisten an deren Anfang zurück. Aber dennoch gelingt es dem Regisseur, am Ende gekonnt den Kreis zu schließen und Stück für Stück große Erzählkunst auf die Leinwand zu zaubern. Mit einer gewissen Lethargie folgt die Kamera als stiller Begleiter dem Alltag von Ellias, wodurch wir Zeuge des beschwerlichen Werdegangs werden und nur ansatzweise erahnen können, was so mancher Landwirt in den 1960er Jahre durchmachen musste. So nimmt der Kinobesucher eine beobachtende Position ein, um den ganz persönlichen Disput zwischen einem Jungbauern, seiner Familie und den traditionellen Werten einer österreichischen Dorfgemeinschaft in Augenschein zu nehmen. Dabei spürt man förmlich die zunehmende Aversion, die kaum zu bändigende Wut und den Drang, aus eben jenen Zuständen dieser Zeit entfliehen und aus dem personengewordenen Gefängnis der Mutter ausbrechen zu wollen.

Märzengrund Filmkritik

© 2022 PROKINO Filmverleih GmbH / Metafilm

Gerti Drassl brilliert an dieser Stelle wie schon so oft in ihren Rollen durch teils bloße Mimik und beeindruckende Monologe, in denen sie die kaum in Worte zu fassende und längst überholte Erwartungshaltung einer traditionsgeschwängerten Gesellschaft gekonnt transportiert. Auch Harald Windisch beweist als in sich zerrissener Vater wieder einmal sein ganzes schauspielerisches Können, das nur von Johannes Krisch als sprichwörtliches alter Ego des in die Jahre gekommenen Elias noch übertroffen wird.

Märzengrund Filmkritik Ausschnitt

© 2022 PROKINO Filmverleih GmbH / Metafilm

Die prägendste Rolle übernimmt aber der Elias-Darsteller Jakob Mader, der die Zerbrechlichkeit des Sinnsuchenden und die innere Auseinandersetzung mit sich und der Welt auf beeindruckende Weise darbietet. So gelingt es ihm, dass man als Zuschauer über nahezu die gesamte Spielfilmlänge hinweg zwischen Verständnis, Mitgefühl und einem „Jetzt reiß dich halt zusammen“ schwangt. Um dann am Ende selbst inneren Frieden zu finden, weil man weiß, dass man sich zwar jahrelang mit aller Inbrunst gegen etwas stellen kann. Aber am Ende immer die eigene Überzeugung obsiegt, sich von belastenden Dingen befreien zu müssen, um endlich genau so leben zu können wie man es für sich selbst als richtig erachtet.

Details zum Film:
Originaltitel: Märzengrund
Produktionsland: Österreich / Deutschland
Originalsprache: Deutsch
Erscheinungsjahr: 2022
Länge: 110 Minuten
Altersfreigabe: FSK 12

Regie: Adrian Goiginger
Drehbuch: Adrian Goiginger  Felix Mitterer
Produktion: Isabelle Welter, Michael Cencig, Rupert Henning, Philipp Schall
Musik: Manuel Schönegger, Dominik Wallner
Kamera: Klemens Hufnagl, Paul Sprinz
Schnitt: Birgit Foerster

Besetzung:
Jakob Mader: Elias (jung)
Johannes Krisch: Elias
Gerti Drassl: Mutter von Elias
Harald Windisch: Vater von Elias
Verena Altenberger: Moid
Carmen Gratl: Rosi
Iris Unterberger: Rosi (jung)
Maria Strauss: Franzi
Annalena Hochgruber: Ines
Helmuth Häusler: Rudi
Brigitte Jaufenthaler: Ärztin