Vom 26. bis zum 27. Juli 2019 fand wieder der Großglockner Ultra Trail statt, der heuer mit der fünften Auflage ein kleines Jubiläum feierte. Als Gratulanten fanden sich rund 1.800 Läufer aus mehr als 40 Nationen zum wohl anspruchsvollsten Trailevent der Ostalpen ein, um auf vier unterschiedlichen Distanzen gegeneinander anzutreten und am Ende gleich fünf neue Streckenrekorde aufs Parkett zu bringen.
Doch während auf der 110k-Distanz die deutsche Gore-Athletin Eva Sperger als insgesamt Drittschnellste im Gesamtklassement für Aufsehen sorgte, sah die Welt für Veit vom aF-Team ganz anders aus. Warum es für ihn alles andere als gut lief und wie nah Freud und Leid in Osttirol doch beieinander liegen können, erfahrt ihr in seinem ganz persönlichen Eventbericht.
Wenn die Wade zwickt, ist das DNF (Did Not Finish) nicht weit
Es hätte alles so wunderbar werden können – hätte! Wäre da nicht dieser blöde ziehende Schmerz in der Wade gewesen, der mich drei Wochen vor dem GGUT 2019 zu einer Zwangspause verdonnerte. Dabei hatte ich bis dato alles richtig gemacht. Anders als in den Jahren davor habe ich mich im Verlauf des Jahres Stück für Stück gesteigert, nie overpaced und stets auf meinen Körper gehört. Selbst das ISG-Problem und die Plantarfasziitis hatte ich „just in time“ in den Griff bekommen.
Den vielleicht entscheidenden Fehler hatte ich jedoch überhaupt nicht auf dem Zettel – den zu frühen Wiedereinstieg ins Training nach einer Zeckenimpfung, die mich drei Tage auf das Level eines Anfängers zurückwarf und den Körper ungemein schwächte. Und so nahmen die Dinge unaufhaltsam ihren Lauf – oder besser gesagt, eben gerade nicht.
Nach einer intensiven Trainingseinheit entlang der Isartrails mit knapp 20 Kilometern brüllte mich mein linker Wadenmuskel beleidigt an. Kein großes Thema dachte ich. Ein zwei Tage Ruhe und dann ist das Laktat wieder abgebaut. Denkste, denn nach knapp einer Woche ging es bei senkender Hitze erneut auf die Laufstrecke. Mit dem Ergebnis, dass ich bereits nach nur 5 Kilometern schmerzverzerrt das Training abbrechen musste. Verdammt, was ist denn da los? Zwei Wochen vor der großen Herausforderung machte sich zum ersten Mal wirklich Ratlosigkeit, dann ein latentes Panik-Gefühl und schlussendlich Resignation breit.
Ich versuchte einfach alles – angefangen von Quark- und Zinkwickeln über Voltaren und Ibuprofen bis hin zu Sauna und gezielten Stretchingübungen der Outdoor Physios. Doch sobald ich mich auch nur ansatzweise in laufende Bewegungen versetzte, spürte ich jedes Mal ein unangenehmes Ziehen zwischen Achillessehne und Wadenmuskelansatz, das an eine böse Zerrung oder eine Entzündung erinnerte. Selbst ein Besuch beim Sport-Orthopäden mit Ultraschall-Untersuchung und Handauflegen brachte keine neuen Erkenntnisse. Somit hieß es im wahrsten Sinne des Wortes Ruhe bewahren und hoffen.
Tapering deluxe und trotzdem kein Happy Endlauf beim Großglockner Ultra Trail
Aber halt, alles noch einmal auf Anfang: Nach meinem ersten Ultra-Trail im Jahr 2017 auf der 50k-Distanz und den schmerzlichen Erfahrungen beim GGUT 100k in der Staffel wollte ich beim fünfjährigen Jubiläum diesmal alles richtig machen. Im Winter habe ich unzählige Höhenmeter beim Skitourengehen gesammelt und mich dadurch konditionell bestens auf den Laufsommer vorbereitet.
Gefolgt von ersten Trainingseinheiten und Wettbewerben wie dem 2. Chiemgau Trail (40k) und dem Ebbser Koasamarsch (52k) arbeitete ich mich Stück für Stück dem GGUT 2019 entgegen, bei dem ich erstmals die 75 Kilometer-Marke knacken wollte. Aber ohne große Erwartungen und mit einem gewissen Respekt, von dem ich mir bei der Tortour im letzten Jahr reichlich mitgenommen hatte. Teil des Plans war auch eine sogenannte „Tapering-Phase“ von drei Wochen, in der ich das Pensum langsam senken und kurz vor dem Wettbewerb gar nicht mehr laufen wollte. Das daraus letztendlich eine Zwangspause werden sollte, hatte ich einen Monat vor dem Start in keinster Weise auf dem Schirm.
Selbst in privaten Kreisen versuchte ich nur die wenigsten von meinem Vorhaben in Kenntnis zu setzen, um den eigenen Erwartungsdruck nicht noch unnötig aufzuladen. Sogar auf die redaktionelle Ankündigung auf airfreshing.com haben wir bewusst verzichtet. Alles, um sozusagen von den hinteren Startplätzen aus für eine Überraschung zu sorgen und befreit loslaufen zu können. Lediglich bei Scott Sports hatte ich zuvor angefragt, ob sie mir denn nicht ein Outfit nebst Trailschuhen in Form des Supertrac Ultra RC zur Verfügung stellen könnten. Auch BootDoc sponserte ein paar der genialen Tapevene-Laufsocken.
Als Gegenleistung sollte es schöne Bilder vom Zieleinlauf geben und ein paar nette Insta-Stories über die hart erkämpften Höhenmeter auf einem der in meinen Augen schönsten Trails in der Ostalpen. Doch soweit sollte es gar nicht erst kommen, denn nach gerade einmal 10 Kilometern war auf Höhe des Kalser Tauernhauses bereits Schluss.
Die Wade hatte sich wie erwartet zurückgemeldet und ein Weiterkommen – auch aufgrund der angekündigten Wetterkapriolen – zum sinnbefreiten Unterfangen werden lassen. Dementsprechend groß war auch die Enttäuschung, die sich aber aufgrund des bis dato zurückgelegten „Leidenswegs“ gottseidank in Grenzen hielt.
Wir haben heute leider kein Zielfoto für dich – if running is impossible just go for hiking.
So staunte meine Freundin nicht schlecht, als ich bereits um 9:30 Uhr wieder in unserer Unterkunft in Kals am Frühstückstisch vor ihr stand. Denn kurz vor meiner Rückkehr hatte sie noch eine zuversichtliche Whatsapp gesendet, da meine Ankunft am nächsten Streckenposten (Rudolfshütte) bereits automatisch vorausberechnet wurde. Frustbeladen ging es anschließend zu einer kurzen Wanderung hinauf zur Lesachhütte (1.818 m) unterhalb der Schönleitenspitze.
Wenn schon das Laufen nicht geht, will ich wenigstens wandernden Fußes meine Genugtuung finden. Zwar hatten sowohl Markus Amon als auch der einstige GGUT-Sieger Klaus Gösweiner meine Entscheidung abzubrechen ausdrücklich gelobt. Aber am Ende muss man dann doch allein mit der Tatsache fertig werden, dass der eigene Körper einem einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Im Nachhinhein sollte sich dann auch herausstellen, dass es das Schicksal gut mit mir gemeint zu haben schien. Denn einerseits wurde die 75k-Distanz auf 50k verkürzt und der Wettbewerb gegen 15 Uhr abgebrochen und andererseits blieb mir Schlimmeres wie der lebensgefährliche Sturz eines Teilnehmers in die Klamm nahe der Lucknerhütte erspart.
So steckte glücklicherweise nur ein ganz kleiner Trauerkloß im Hals, den ich spätestens dann heruntergewürgt hatte, als ich nur zwei Tage später den GGT-Trail hinauf zur Stüdlhütte wandernd absolvierte, ein letztes orangenes Strecken-Fähnchen einsammelte und das erste Mal in meinem Leben gleich vier Steinböcke in freier Wildbahn beobachten durfte. Sogar Österreichs höchster Gipfel erwies mir seine Ehre und schien mich milde stimmen zu wollen. Denn bisher versteckte sich der Großglockner immer hartnäckig hinter einer Wand aus Wolken.
Genügend Gründe, um Osttirol mit gutem Gewissen wieder zu verlassen, um im nächsten Jahr erneut Anlauf zu nehmen. Oder um es mit Goethes Worten zu sagen: „Berge sind stille Meister und machen schweigsame Schüler“, die garantiert aus ihren „Fehlern“ gelernt haben.