In unserer Serie „Made in Germany“ stellen wir unbekannte wie auch renommierte Unternehmen aus der Welt des Bergsports vor, die entweder bevorzugt in Deutschland produzieren, ihr Know-How von der Bundesrepublik aus um den Globus schicken oder zumindest hier ihre Wurzeln haben. Kauten wir zum Start der Serie noch die schmackhaften Flapjacks des Kölner StartUps HAFERVOLL sprichwörtlich durch, hängen wir diesmal bei EDELRID ab – einem der größten Klettersportausrüster Europas – und verbinden unseren Besuch im Allgäu direkt mit ein paar Expressen in der Felswand des Rottachbergs am Falkenstein.
Holpriger Einstand mit viel Luft nach oben
Auch hervorragende Beziehungen können mitunter etwas holprig beginnen und nehmen erst durch langsames Herantasten so richtig an Fahrt auf. So auch die unsrige mit EDELRID. Ausgerechnet ein Klettersteigset sollte es sein, das unseren Zusammenhalt direkt in der Kennenlernphase auf eine harte Probe stellte. Es war das Jahr 2012, als ein junger Tourist auf tragische Weise den neuen Trendsport in eine mittelschwere Krise stürzte. Ein Vorfall, der auch den Klettersportspezialisten aus Isny direkt betreffen sollte, ergab doch ein Prüfverfahren für Langzeitbelastung seitens der Sicherheitsforschung des DAV und der TÜV Süd GmbH einen möglichen Sicherheitsmangel bei elastischen Klettersteigsets.
Nicht die erste Herausforderung, welche die Allgäuer in ihrer langjährigen Erfolgsgeschichte zu meistern hatten. So standen die Produktionshallen von EDELRID gleich zweimal in Flammen. Dem nicht genug wurde der Familienbetrieb im Jahr 2001 vom englischen und weltweit größten Seilherstellers The Rope Company Ltd. übernommen und aufgrund ausbleibender Gewinne nur fünf Jahre später wieder verkauft. Doch selbst größte Schicksalsschläge bieten bekanntlich immer auch die Chance auf einen Neuanfang und viel Luft nach oben. Weshalb sich der neue Besitzer als wahrer Glücksfall entpuppen und EDELRID im Bergsportausrüster VAUDE einen erstklassigen Seilpartner finden sollte. Heute zählt der ehemalige Familienbetrieb zu Europas größten Seilproduzenten und Ausrüstern in den Bereichen Sports, Safety, Adventure Parks und Industry.
Vom Kordelflechter zu einem der größten europ. Seilproduzenten
Alles begann im 19 Jhdt. mit Litzen, Kordeln und geflochtenen Angelschnüren, als vor 150 Jahren der Kaufmann und Alpinist Julius EDELmann sowie Carl RIDder, einem Techniker mit großem Wissen über Flechtmaschinen, den Grundstein legten. Die Gründungsväter gelten seitdem als Inbegriff für visionäres Unternehmertum und Erfindergeist, deren Philosophie noch heute den Charakter des Unternehmens prägt. „Würde man unseren Mitarbeitern in den Finger schneiden, dann würden wir vermutlich grün und schwarz bluten“ zeigt sich Anne Leidenfrost (Head of Marketing) denn auch überzeugt von der selbst gelebten Markenphilosophie.
Kein Wunder also, dass man die tiefe Leidenschaft für die Berge und den Klettersport nicht nur bei der Begrüßung sofort zu spüren bekommt, wenn selbst vermeintlich zarte Frauenhände beim Händedruck richtig zulangen. „Wir entwickeln hier nicht einfach nur Produkte für drinnen und draußen, wir leben sie auch in der Halle und am Berg“ ergänzt Pressesprecherin Anke von Birckhahn sichtlich stolz. So klettert mehr als die Hälfte der 150 Mitarbeiter selbst aktiv am Fels, weshalb sie sich ihrer Verantwortung durchaus bewusst sind und die eigenen Produkte besonders kritisch unter die Lupe nehmen bzw. die eigenen Erfahrungen bei der Entwicklung neuer Technologien jederzeit mit einbringen können. Know-How, das sich direkt in der heutigen Produktpalette widerspiegelt und sowohl in Seilen, Hartware wie Karabinern oder Express-Schlingen, Kochutensilien, Klettergurten und -schuhen, Helmen, Rucksäcken und sogar in einer eigenen Bekleidungskollektion findet.
Die spinnen nicht, die flechten die Allgäuer
Waren es anfangs noch Geflechte aus synthetischen Fasern und Naturfasern, die teils noch in Handarbeit zu Bergseilen, Tauwerk, Zeltleinen, Skifangriemen oder Schnürsenkeln verarbeitet wurden, verlassen mittlerweile wahre technische Wunderwerke die heiligen Produktionshallen in Isny. EDELRID produziert in erster Linie Seile für Bergsport und Arbeitssicherheit. Doch zählen auch Leinen z.B. für Lenkeinheiten von Gleitschirmen und andere technische Geflechte zum Sortiment. Wer hätte gedacht, dass in den Verdecken von Cabrios hochfeste Zugleinen von EDELRID verbaut werden?
Die größte Revolution im Bergsportbereich gelang EDELRID aber wohl im Jahr 1953, als das erste Kernmantelseil der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Im Gegensatz zu traditionellen Herstellungsverfahren, bei denen mehrere Hanfseilstränge miteinander verdreht wurden, bot das damals neuartige Konzept ein deutliches Plus an Sicherheit. So ist die Innovation in erster Linie darin begründet, dass der Kern des Seils die Last trägt und durch den Mantel vor äußeren Einflüssen geschützt ist. Elf Jahre später folgte dann das Multi-Sturz-Seil – heute auch unter dem Begriff des dynamischen Bergseils bekannt – mit dem die Allgäuer Ihre führende Rolle im Klettersport untermauern sollten. So versteht es sich von selbst, dass EDELRID als Anbieter von persönlicher Schutzausrüstung (PSA) bei der Entwicklung und Produktion größten Wert auf Sicherheit und Qualität legt.
Rotpunktbegehung in der Seilproduktion
Startete EDELRID ursprünglich noch als Litzen- und Kordelfabrik, produziert der Bergsportspezialist inzwischen mehrere Millionen Meter Kletterseil pro Jahr – natürlich bluesign® zertifiziert. Ein Kernmantelseil besteht aus zwei Hauptkomponenten – dem Mantel und dem Kern. Die perfekte Abstimmung beider Elemente verleihen dem fertigen Seil die gewünschten dynamischen Eigenschaften. Dieser Prozess beginnt bereits mit den weißen Zwirnen für den Kern. Um ihnen die nötige Dynamik zu verleihen, müssen sie dazu gebracht werden, sich zusammenziehen. Nur so ist es möglich, die bei einem Sturz auftretende Energie durch entsprechendes Ausdehnen optimal absorbieren zu können. Diese Eigenschaft wird den Fasern verliehen, indem die Kernzwirne von ihren Spulen ab- und in losen Schlingen wieder aufgewickelt werden.
In dieser Form werden sie anschließend in ein Vakuum-Dampfbad gesteckt. Dort kriegen sie zwar keine Luft, aber es ist schön warm und feucht – dieses Klima sorgt dafür, dass die Fasern schrumpfen und dadurch später mehr Energie aufnehmen können. Den gleichen Prozess durchlaufen auch die farbigen Zwirne für den Mantel. Nach dem Dämpfen werden diese auf Spulen gewickelt, die dann wiederrum in die Flechtmaschine eingebracht werden. Den eigentlichen Flechtprozess muss man sich wie einen Tanz um den Maibaum vorstellen: Der Kern ist der Maibaum und die Spulen mit dem Mantelzwirn tanzen um ihn herum, um so den Mantel um den Kern herumzuflechten. Die Zwirne bewegen sich schließlich so lange durch die Maschine, bis die gewünschte Länge der Charge erreicht ist.
Die Konfektion ist schließlich die letzte Station, bevor das fertige Seil die Produktionshallen von EDELRID verlässt. Als letzte Qualitätskontrolle läuft jeder Meter noch einmal durch die feinfühligen Hände der erfahrensten Mitarbeiterinnen. Diese arbeiten schon so lange mit den Seilen, dass sie selbst kleinste Unregelmäßigkeiten spüren können und mit der Zeit einen wahren „Seil-Sinn“ entwickelt haben. Eine wichtige Instanz für die Qualitätssicherung der EDELRID Seile. Stundenlang könnte man diesem Prozess zuschauen und die meditative Wirkung der Produktionsstraßen auf sich wirken lassen, wäre da nur nicht dieser tosende Lärm. Grund genug, guten Gewissens diesen Ort der ruhe- und rastlosen Produktivität zu verlassen. Schließlich warten draußen noch jede Menge Kletterrouten, die wir ganz in Ruhe und mit einem sicheren Gefühl meistern wollen.