Gut fünf Stunden dauert die Fahrt mit dem Auto von München bis nach Interlaken im Berner Oberland. Von hier aus ist es nur noch ein Steinwurf bis nach Grindelwald und zur sagenumwobenen Eiger Nordwand. Soweit das Auge reicht reihen sich hier kantige Berge, grüne Hügel und malerische Seen aneinander. Schweizer Idylle wie aus dem Bilderbuch und wie man sie von Postkarten-Motiven her kennt. Auf einer Anhöhe, direkt zwischen Thunersee und Brienzersee, hat Roger Schäli sein Basislager errichtet. Auf unbestimmte Zeit, denn das kleine Haus am Berg ist der perfekte Ausgangspunkt, um binnen kürzester Zeit auf einen der markanten 4.000er Gipfel des weithin sichtbaren und überaus imposanten Dreigestirns von Eiger, Mönch und Jungfrau steigen oder klettern zu können.
Neues Mitglied im Basecamp des LOWA PRO Team
Barfüßig öffnet uns der am 8. August 1978 im schweizerischen Sörenberg geborenen Profi-Bergsteiger die Tür und steckt uns seine felsgewordenen Kletterhände entgegen. Schon bei der Begrüßung wird sofort klar, wieso er einer der wenigen Alpinisten ist, der die Patagonien-Trilogie des Cerro Torre, Torre Egger und Cerro Standhardt erfolgreich meistern konnte. Doch neben zahlreichen Erstbegehungen wie bspw. Fior di Vite (7a/M6) am Arwa Spire im indischen Himalaya Gebirge zählt der weltweit bekannte Klettersportler vor allem wegen seiner alpinen Meisterleistungen in den sechs großen Nordwänden – Eiger, Grandes Jorasses, Matterhorn, Petit Dru, Piz Badile und Große Zinne – zu den ganz Großen im Bergsport. So ist es denn auch nicht weiter verwunderlich, dass sich das neueste Mitglied im LOWA PRO Team über ein relativ seltenes Privileg freuen kann: Als gesponserter Athlet darf er ausschließlich seiner größten Leidenschaft nachgehen – dem alpinen Klettern.
Vom Boden der Tatsachen bis hinauf zur Spitze der Weltelite.
Eigentlich wollte der sympathische Schweizer als Kind ja Ski-Rennfahrer werden. Ein Wunsch, der aufgrund einer frühen Verletzung leider für immer ein Traum bleiben sollte. Auch ein bodenständiger Beruf als Forstwirt stand einst einmal zur Debatte, wurde von Roger Schaeli aber genauso wenig weiterverfolgt wie die später von ihm abgeschlossene Ausbildung zum Zimmermann. Um ein Haar wäre selbst aus der außergewöhnlichen Kletterkarriere nichts geworden, stürzte der sympathische Schweizer doch im Alter von 16 Jahren beim Klettern ganze 30 Meter ungebremst zu Boden und brach sich dadurch beide Beine. Doch wo andere vermutlich aufgegeben und sich ihrem Schicksal ergeben hätten, kämpfte sich das imposante Kraftpaket wieder zurück bis ganz nach oben an die Spitze der alpinen Weltelite. „So ein Kletterunfall prägt einen schon enorm, vor allem wenn man noch so jung ist wie ich es damals war. Das verändert aber nicht nur dein Leben und das eigene Risikobewusstsein, sondern hält dir auch direkt vor Augen, wie schnell doch alles vorbei sein kann“, resümiert der ausgebildete Bergführer im Rückblick auf sein ganz persönliches Schlüsselerlebnis. All das erzählt Roger Schaeli mit einem für ihn so typischen Gesichtsausdruck und einem latenten Schmunzeln auf den Lippen. Dabei lehnt er sich entspannt an den gemütlichen Holzofen in seiner Küche, über dem ein Schild mit dem aufbauenden Spruch: „Heute ist ein guter Tag, für einen guten Tag“ an der Wand hängt.
Lässt man den Blick durch die Wohnung des Schweizers wandern, bleibt das Auge in den recht spärlich eingerichteten Zimmern nur an wenigen Gegenständen hängen. Irgendwie mag man nicht ganz glauben, dass man sich gerade im Basecamp eines der besten Alpinisten der Welt befindet. Es fehlt an den für solch eine Behausung sonst so typischen Dingen wie Klettertrophäen an den Wänden oder Unmengen an Equipment, das überall herumliegt und man kaum Platz zum Treten hat. Dennoch ist sein „Beruf“ kaum von der Hand zu weisen. So hängt an einer Wand eine kleine Übersicht mit den Routen der Eiger Nordwand, in einem Regal stapelt sich die klassische Bergsteiger-Literatur und irgendwo klebt – natürlich – ein Fingerboard an der Wand. Man muss schon etwas länger suchen, bis man endlich das findet, was man von einem waschechten Bergführer erwartet. Die obligatorische Ausrüstungskammer befindet sich versteckt im Erdgeschoss, vollgestopft mit Karabinern, Keilen, Seilen, Bergstiefeln, Kletterschuhen und allem, was man für eine Durchsteigung der schwersten Routen der Welt halt so braucht.
Auch ein einsamer Bergwolf fühlt sich in guter Gesellschaft noch immer am wohlsten.
„Als Alpinist bist du viel und vor allem mit dir allein unterwegs. Zwar bin ich nicht der typische Einzelgänger, aber weil ich damals ausgebrochen bin aus dem „typischen Schweizer Leben“ hier unten im Tal und die große Welt entdecken wollte, ist die Vernetzung mit dem sozialen Leben mittlerweile eine andere“. Man sieht sofort, dass Roger Schaeli alles andere als ein Stubenhocker ist. So wie viele Profi-Athleten führt er nach eigener Aussage ein recht anti-rhythmisches Leben, wodurch der gewählte Weg als Klettersportler und Bergführer manchmal doch ein recht einsamer sein kann – trotz der zahlreichen Fans und befreundeten Alpinisten in aller Welt. „Du hast theoretisch immer viele Leute um dich herum, aber so ganz enge Kontakte, da musst du schon etwas für tun und musst es ab und an aushalten können, dein eigenes Ding durchzuziehen“, kommentiert Roger Schaeli den abwechslungsreichen Alltag als gesponserter Profi-Sportler und lässt ein wenig demütig den Blick über das sich unter uns ausbreitende Tal schweifen. Ein Moment, in dem auch schmerzhafte Erinnerungen wieder in den Kopf schießen. Über die eigenen Verletzungen oder den Verlust eng befreundeter Bergsteiger, wie den 2011 im Himalaya tödlich verunglückten Seilpartner und Kameramann Daniel Ahnen.
Doch mit Schwermut haben solche Gedanken nichts zu tun. Vielmehr sind sie Teil des Lebens eines Alpinisten, der von seiner Leidenschaft leben will – mit allen positiven Aspekten wie auch negativen Konsequenzen. Und doch passt es nur schwer zusammen, das Bild des stets gut gelaunten und bei vielen Freunden überaus beliebten Bergsteigers und des einsamen Wolfs. „Wenn ich nach einer längeren Tour oder Expedition wieder nach Hause zurückkehre, dann bin ich oft überfordert von den ganzen Dingen, die ich dann tun muss und soll. Da denke ich oft – lasst mich doch einfach in Ruhe“ beschreibt Roger Schaeli die emotionale Seite des Profi-Daseins. Seiner Meinung nach ist das Schöne am Bergsport, dass sich dort alles nur auf das Eine reduziert. Jede Handlung folgt einer gewissen Logik und jeder Aktion folgt unmittelbar eine Reaktion. Dadurch ist das Leben in der Wand per se leichter, weil es dort so simpel, reduziert und auf gewisse Weise auch primitiv ist. Demgegenüber existieren unten im Tal tausende kleine Entscheidungen, die es ständig zu treffen gilt, und die nicht zwingend etwas verändern.
Große Ziele und eine Seilschaft, die noch so manches Ziel ins Visier nehmen dürfte.
So zieht sich Roger Schaeli gerne einmal in sein am Eiger Gletscher eigens eingerichtetes Biwak zurück, um die Stille der ewigen Eismassen und die Abendsonne in Ruhe genießen zu können. Oder er vergräbt sich in einen Berg von alpinem Kartenmaterial, um sein nächstes Projekt zu planen wie bspw. die Durchquerung der Alpen von Ost nach West, um getreu dem Motto: „Climb the best with the best“ die schönsten 50 Routen gemeinsam mit Freunden, ambitionierten Nachwuchskletterern und bekannten Athleten wie Thomas Huber, Nico Favrese, Hans-Jörg Auer und David Lama zu klettern. Auch die Fitz-Roy-Traverse ist für das Jahr 2018 fest eingeplant. Genauso wie ein anspruchsvoller 7.000er im Himalaya. Viele Abenteuer, die beweisen, dass der Schweizer Alpinist noch längst nicht dem egoistischen Trip eines einsamen Bergwolfs verfallen ist, sondern ganz bewusst die Momente mit Gleichgesinnten teilen will. Oder um es mit seinen Worten zu sagen: „Ich will mein jetziges Leben noch etwas mehr schätzen lernen und es in vollen Zügen genießen. Früher bin ich ständig irgendwelchen Zielen hinterhergerannt und habe es etwas versäumt, mich auf meinen Erfolgen auszuruhen.“
Was nicht heißt, dass er nicht minder zielstrebig in die Zukunft schaut. So blickt er der Zusammenarbeit mit LOWA optimistisch entgegen und freut sich auf die anderen Athleten im LOWA PRO Team. Schon lange war der diplomierte Berg- und Skiführer auf der Suche nach einem festen Team, das nachhaltig betreut wird und auch einmal gemeinsam Touren unternimmt. Für ihn gehört dabei vor allem die Nähe zu einer Marke. Mit LOWA hat Roger Schaeli nach eigenen Aussagen nun endlich jenen Partner gefunden, mit dem viel bewegt werden kann. „Ich will wissen, dass wenn ich ein Feedback zu einem Bergschuh abgebe, es dann auch ankommt und nicht in der Schublade landet. Was nützt es beiden Seiten, wenn ich am Ende nur zum Fotoshooting einen Zustiegsschuh anziehe, den ich zum Bergsteigen aber niemals hernehmen würde“, umschreibt er seine hochgesteckten Erwartungen. Man merkt, dass der Schweizer seinen Sport mit Haut und Haaren liebt und lebt. Und sein Wissen weitergeben und den Bergsport als solches weiter vorantreiben möchte. Dazu zählt für ihn auch, dass wenn man sich für etwas begeistert, auch langsam lernen muss, wie eine fruchtbare Zusammenarbeit funktionieren kann. Man darf also durchaus gespannt sein auf die Ergebnisse dieser außergewöhnlichen Seilschaft.
Die wichtigsten Details – Roger Schhaeli im Profil:
Alter: 39
Geburtsjahr: 1978
Geburtsort: Sörenberg (Schweiz)
Beruf: gelernter Zimmermann, diplomierter Ski- und Bergführer, Profi-Bergsteiger
Lieblingsklettergebiet: Céüse (Frankreich)
Hausberg: Eiger (Schweiz)
Größe: 170 cm
Gewicht: 68 kg
Schuhgröße: UK 9