Jetzt sitzt er wieder im Anzug hinter seinem Schreibtisch eines renomierten Bankinstituts in München und geht seiner täglichen Arbeit nach. Laudi ist zurück aus Ladhak (Tibet) und wieder ein Stück weit ein anderer Mensch geworden. Zu seinen insgesamt 987 Tagen in 14 Ländern kommen nun ein paar Tage und ein Land mehr dazu. Noch im August berichtete er auf airFreshing.com über sein nächstes großes Ziel – dem Stok Kangri (6.153m), einem verhältnismäßig leichten 6.000er im indischen Himalaya.
In seinem Gastbeitrag beschrieb Laudi damals seine Pläne, Ängste und Erwartungen. Einige davon wurden erfüllt, andere wiederrum sollten nur ein Traum bleiben. Hier ist sein ganz persönlicher Rückblick auf eine einzigartige Reise – zu sich selbst und in die moderne Gesellschaft unserer Zeit.
Es bleibt beim Traum vom ersten 6.000er im Himalaya
Wir sind wieder da (Anm. d. Red.: Laudi war mit seiner Freundin unterwegs) und gesund – mal abgesehen von dem durchaus hartnaeckigen Etwas, das ich mir in den letzten Tagen in Delhi eingefangen habe. Mit ein Grund, warum ich den Artikel jetzt schon schreibe, anstatt wie jeder andere normale Mensch bei bestem Wetter an der Isar herumzuhüpfen. Und die zweite („schlechte“) Nachricht gleich dazu: Der Stok Kangri wurde nicht bestiegen! Wieso und weshalb und warum das überhaupt nicht schlimm ist, versuche ich mal in den nächsten Zeilen zu erklären.
Wir sind also von München nach Delhi geflogen, um von dort aus nach Leh weiterzureisen – nach 3 Stunden „Schlaf“ in einem versifften Zimmer und dem üblichen Stress, den man halt so in Kauf nehmen muss, sobald man indischen Boden betritt. Dort sind wir dann relativ deppert aus dem Flieger gestolpert. Allein die Kombination aus wenig Schlaf und einer Höhe jenseits der 3.500 Meter konnten aber nur eins bedeuten: Bett! Schlafen! Langsam machen! All das wurde uns im Ladakh Greens sehr erleichert und der wunderschöne Garten inkl. Katzenfamilie waren ein genialer Zeitvertreib. Nachdem wir uns relativ schnell akklimatisiert hatten, ging die große Suche nach unseren Tragepferden los. Wie bereits in unserem Gastbeitrag erwähnt, hatten wir nichts weiter geplant außer den Flug und die Zusammenstellung unserer Ausrüstung.
Reiche Touristen are welcome weil „money counts“
Die Planung vor Ort gestaltete sich relativ schwer, da wir als Kunden mit wenig Marge galten und in der Hauptsaison jeder Touri-Dollar zählt. Denn im Gegensatz zu uns Beiden fragen zahlungskräftige Kunden nach richtigen Expeditionen mit Koch, Pferd, Küchenzelt und und und. Wir allerdings wollten einfach nur 1-2 Pferde und einen Pferdeführer. Doch dieser Wunsch war schier aussichtslos und wir mussten schnell akzeptieren, dass uns niemand mit weniger als 4 Pferden losschicken würde. Zum Glück haben wir dann doch eine Agentur gefunden, die Träger ins Spiel brachten. Recht unüblich für Ladakh, aber warum nicht. Angeblich bekommen die Träger hier 90% des Geldes und da wir keine Unmenschen sind, haben wir uns gegen die Agenturempfehlung gleich für zwei Träger entschieden. Dann bekommt jeder 10 Kilo und alle sind gluecklich. So zumindest der Plan.
Als quasi Vorspiel haben wir uns die Klöster Hemis und Thikse angesehen. Der Dalai Lama war zu unserem Entzücken auch zugegen und hat uns gewunken! Das konnte, nein musste doch ein gutes Omen sein. Am nächsten Morgen ging es dann 65 Kilometer mit dem Jeep nach Chilling. Dort angekommen standen zwei größere Expeditionen vor uns an und es zahlte sich zum ersten Mal aus, Locals dabei zu haben. Dank Spawo und Tanau, unsere beiden Jungs für die nächsten 8 Tage, sind wir relativ zügig über den Zanskar Fluss geflogen. In einer Holzbox. An einem Stahlseil. Mit ca. 200 Kilo beladen. Und ja, trotz aller Bedenken hat das Seil dann doch gehalten und wir erreichten wohlbehalten die andere Seite.
Atemlos durch die Nacht oder die Vorboten der Höhenkrankheit in Ladhak
Endlich war es Zeit loszugehen. In den nächsten Tagen ging es von Skyiu nach Shingo über den Ganda la (4.900 m) Richtung Yurutse, dann weiter nach Rumbak über den Stok La (4.700 m) nach Mankarmo und dann Richtung Base Camp des Stok Kangri. In dieser Zeit sahen wir Lichtspiele, Yaks, riesige Greifvögel, bunte Blümchen und natürlich jede Menge Berge und Gipfel. Ladakh ist ein konstantes Feuerwerk für jeden Bergfreund und hinter jeder Ecke wartet eine neue Überraschung für die Augen. Wir haben nicht nur die Wanderungen genossen, sondern auch die Gesellschafft unserer „Porter“, die irgendwann mehr zu (kulturellen) Guides mutierten und sich am Ende des Treks als richtige Freunde entpuppten.
Während der Wandertage sind wir vielen Leuten begegnet und konnten uns im Zuge dessen natürlich wunderbar austauschen. Was mir dabei immer wieder auffiel: Anscheinend ist es inzwischen zur Normalität geworden, dass gedopt wird – selbst unter Hobbybergsportlern. Grob geschätzt sind 7 von 10 Wanderern bereits in Leh auf Diamox unterwegs und machen da auch keinen grossen Hehl draus. Für mich unverständlich, aber jedem das seine. Wir haben uns davon nicht beirren lassen und uns langsam an die Höhe gewöhnt. In der zweiten Nacht auf 4.150 Metern gab es ausgiebig Zeit, mit einem Pfefferminztee in der Hand den üppigen Sternenhimmel zu beobachten. Meine Partnerin hatte im Zuge der Akklimatisierung ein wenig Herzklopfen und war relativ kurzatmig. Kein angenehmes Gefühl, aber soweit nicht weiter schlimm. Wäre es am nächsten Morgen nicht besser geworden, wären wir ohne weiteres umgedreht. Zum Glück war am nächsten Tag alles wieder tiptop und wir konnten wie geplant weiterziehen.
Ferienlagerstimmung, überforderte Bergsteiger und Nullbock-Phase
Als wir am sechsten Tag im Base Camp ankamen, waren wir immer noch gut drauf. Das Wetter hingegen hatte in der Nacht zuvor allerdings die Muskeln spielen lassen und neben Schnee und Regen gab es auch noch ein ordentliches Gewitter, was uns allerdings nicht weiter verunsichern sollte. Danke MSR an dieser Stelle für die Entwicklung des Hubba Hubba NX, dem für unsere Begriffe perfekt durchdachtesten Zelt ever! Dennoch waren wir geschockt von der im Base Camp vorherrschenden Atmosphäre. Zwischen 60 und 70 Zelte standen da vor uns und eine Lautstärke schwappte uns entgegen wie in einem Ferienlager.
Hier ein Haufen Testosteron, der sich gegenseitig zeigen musste wie stark doch jeder ist – vertreten durch die Indische Expedition mit 45 Mann. Dort eine Unterrichtsstunde für Outdoor-Newbies: „Please don’t wear your down jackets in rain, it will not keep your warm“ in Form der irischen Expedition. Dann noch die Fraktion: „Everything is AWESOME, we are the BEST“ vertreten durch die Amerikaner. Und schließlich die griechische Expedition, die schon in Mankarmo das Handtuch geschmissen hat. Dazwischen noch ein paar Israelis, die gerade einmal in der Lage waren, sich Ihre Schuhe zu binden, und etwas verlassen dann WIR. Wobei, eine Ausnahme in Gestalt zweier deutscher Jungs gab es, die Ihren kompletten Kram selbst getragen hatten. Zudem hatten die Beiden den Golep Kangri zur Akklimatisierung absolviert und sind danach den Stok Kangri in 2:58 Std. hochgelaufen – Chapeau! Aber im Großen und Ganzen hatten wir irgwendwie keinen so rechten Bock mehr auf den Gipfel und die Besteigung des Stok Kangri. Es war – mal abgesehen von der Höhe her – keine wirkliche Herausforderung mehr und wir kamen uns eher vor wie bei einem Touristenansturm auf den Herzogstand in den bayerischen Voralpen bei bestem Kaiserwetter.
Bergsteigen als Realitätsflucht für die Einen und Testosteron-Duell für die Anderen
Bergsteigen bedeutet für mich in erster Linie Realitätsflucht. Ich bin am liebsten allein und schnell unterwegs. Natürlich macht es mit Freunden noch mehr Spass, aber das ist organisatorisch immer schwierig, wenn jeder eine andere Vorstellung vom Bergerlebnis als solches hat. Das ist auch nicht weiter schlimm. Schlimm ist es nur, wenn man sich den Berg mit dem „Homo Kangri“ teilen muss, der nur auf den Berg will, um am Montag in der Arbeit erzählen zu können, dass er auf einem 6.000er gestanden hat. Nichts für ungut und wie gesagt, jedem das Seine. Aber genau deshalb haben wir uns für den Golep Kangri entschieden. Vielleicht gerade aus Trotz „nur“ ein 5.950 Meter hoher Gipfel – und eben kein 6.000er.
Es ist 3:40 Uhr, kein Wind, nicht zu kalt. Also raus aus dem Zelt, Stirnlampe an, rein in die Boots und los geht’s. Die erste Stunde nervt. Dann dämmert es langsam und 30 Minuten später sehen wir in der Ferne den K2 leuchten. Eine weitere halbe Stunde später sieht das Wetter nicht mehr so gut aus und wir entscheiden uns für Tee und innehalten. In diesem Moment passt einfach alles. Wir sind alleine auf dem Berg, die Aussicht ist abnormal schön, der Tee schmeckt besser als jemals zuvor und wir lassen unsere Gedanken einfach schweifen. Plötzlich ist es völlig egal, ob wir es nun auf den Gipfel schaffen oder nicht. Das ist der Moment auf den ich Monate lang gewartet habe, nicht auf den Stok Kangri. Eine weitere halbe Stunde später entscheiden wir uns ganz bewusst gegen die Fortsetung des Aufstiegs. Das Wetter ist zu ungewiss. Wir steigen ab, mit dem fettesten Grinsen im Gesicht. Eine Stunde später sind wir wieder im Base Camp und packen unsere Sachen zusammen. Als wir für den finalen Abstieg mit ca. 2000 Höhenmetern aufbrechen, schauen wir noch einmal hinauf zum Gipfel und werden für unsere Weitsicht bestätigt. Golep Kangri hüllt sich in dicke graue Wolken – das hätte noch ziemlich unangenehm werden können.
Wenn lokale Porter zu echten Freunden werden
Nach dem Abstieg gab es viel Schlaf – natürlich in einem richtigen Bett! Und viele weitere Trips. So zum Beispiel ein „Dalai Lama teaching“ mit 30.000 Leuten und ein Besuch der Städte Alchi und Lekir. Immer an unserer Seite, unsere neuen Freunden Spawo und Tanau. Denen möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal für deren selbstlose Hilfe, die Gastfreundschaft und alles andere danken: JULLEY! Jetzt brauche ich eigentlich nur noch meine eigene Royal Enfield und ein Flugticket für nächstes Jahr nach Leh und alles ist perfekt.
P.S: Wer auch über einen Trip nach Leh nachdenken sollte, der kann unseren beiden Portern gerne eine E-Mail schreiben (Stanzin Spawo: stnz.spawo12@gmail.com, Stanzin ÑTanauì Gonbo: stanzpuddle20@gmail.com). Das ist nicht nur günstiger als eine Agentur, sondern sichert den Beiden auch ihre Existenz und es ist garantiert auch weitaus interessanter als mit einer großen, überteuerten Expedition durch die Berge zu bummeln. Im Zuge dessen können auch Pferde, Guides etc. organisiert werden.
In diesem Sinne: Julley, euer Laudi!