Winter – Technologiezentrum Ski- & Alpinsport (TSA), POMOCA und Dynafit: Skifelle im Stresstest – wem rutscht am schnellsten der Ski aus?

von | 07. Oktober 2016 | Allgemein, News (Winter), Outdoornews

Wer schon einmal auf Skitour war und dabei verschiedene Skifelle unter den Brettern hatte – egal ob nun bei den Powderlatten oder dem Splitboard – der weiß ein Liedchen davon zu singen, wie haarig die Angelegenheit mitunter werden kann. Im schlimmsten Fall lässt der Kleber nach, stollt der Schnee und ist das Fell spätestens nach der Hälfte der Strecke quatschnass. Wie unterschiedlich die einzelnen Produkte der verschiedenen Hersteller performen, lässt sich mit bloßem Auge kaum erkennen. Noch subjektiver wird die Beurteilung beim Einsatz im Backcountry. Mit ein Grund wieso die Traditionsschmiede POMOCA nun einen einzigartigen Weg der Transparenz geht und gemeinsam mit dem Technologiezentrum Ski- und Alpinsport (TSA) der Innsbrucker Universität verschiedene Anbieter gegeneinander antreten lässt, um neue Erkenntnisse zu sammeln. Wir durften einen Blick auf die Teststrecke werfen – sowohl im Labor als auch draußen im Schnee

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Über das Technologiezentrum Ski- und Alpinsport (TSA)

Das Technologiezentrum Ski- und Alpinsport (TSA) ist eine 2005 gegründete GmbH. Zu den Gesellschaftern zählen die Universität Innsbruck, der Österreichische Skiverband, der Österreichische Rodelverband und der eingetragene Verein der Partnerunternehmen des TSA. Ziel des Zentrums sind gemeinsame Forschungsprojekte mit Sportartikelherstellern, um den Partnerunternehmen entsprechende Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Der Forschungsschwerpunkt liegt dabei auf der Entwicklung von Sportanlagen, Geräten und Textilien. Darüber hinaus dient das TSA den einzelnen Unternehmen aus der Sportartikelindustrie auch als Plattform für den Technologietransfer. Die Entwicklung innovativer Sporttechnologien bildet dabei das Herzstück der TSA-Aktivitäten. So wird bspw. mithilfe einzigartiger Testgeräte und -methoden zur Analyse der Eigenschaften von Sportgeräten und Materialien das Reibungsverhalten von Sportgeräten (z. B. Ski, Rodelkufen oder Skifelle) auf Schnee oder Eis bestimmt.

Tribologie – Reibung entsteht auch bei „arschglattem“ Schnee

Unter dem Begriff der Tribologie versteht sich die wissenschaftliche Beschreibung aufeinander einwirkender, in Relativbewegung befindlicher Oberflächen – sprich: Beim Kontakt zwischen zwei Oberflächen treten bestimmte Reibungs- und Verschleißwerte sowie Kräfte auf, die entsprechend messbar sind.
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Geprüft bzw. untersucht werden diese Parameter mithilfe des sogenannten „Tribometers“. Ein Messinstrument, das in der Regel aus rotierenden Scheiben besteht und eher selten aus einer in Längsrichtung fortlaufenden Messspur wie es dem Einsatz von gleitenden Sportgeräten wie Ski oder Schlitten entsprechen würde. Genau in diesem Punkt unterscheidet sich das Tribometer am TSA, mit dem die Wissenschaftler neue Erkentnnisse zum Gleitverhalten von Sportgeräten ermitteln wollen. Demnach ist es weitaus größer und länger als die Geräte anderer Institute und kann dadurch ein deutlich größeres Geschwindigkeitsspektrum und eine erhöhte praktische Relevanz abdecken.

Ein Test für alle Felle – aber welches Produkt ist das beste?

Unter möglichst realen Bedingungen führen die Wissenschafler am TSA diverse Skifell-Tests durch, bei denen verschiedene Produkte unter die Lupe genommen werden. Diese unterteilen sich in drei unterschiedliche Gruppen, welche die wichtigsten Bereiche am Markt repräsentieren und unterschiedliche Eigenschaften aufweisen – hierzu zählen besonders leichte Skifelle, die bevorzugt bei Rennen (z.B. POMOCA Race oder Contour Race) zum Einsatz kommen sowie Skifelle, die entweder aus reinem Mohair (z.B. Gecko Standard,  Kohla Evolution 100 % Mohair oder Contour Guide) oder einem Materialmix (z.B. G3 MoMix, POMOCA Climb 2.0 oder Contour Easy) gefertigt werden.
Ziel der Untersuchungen ist es, die beim Kontakt zwischen Schnee und Skifell auftretende Reibung zu ermitteln. Um ein möglichst breites und naturnahes Messverfahren sicherzustellen, wurden die einzelnen Skifelle bei unterschiedlichen Temperaturwerten (-2,5 °C, -5 °C und -20°C) unter die Lupe genommen. Auch die unterschiedliche Belastung wie sie auch beim Skitourengehen in schönster Winterlandschaft auftritt kann im Tribometer simuliert werden. Sei es nun bei minimaler (7 % des Körpergewichts und einer Geschwindigkeit von 2 m/s), durchschnittlicher (30 %) oder bei voller Belastung (100%).
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Ein Schritt in drei Akten und bis zu 6.000 pro Stunde

Auch der zur Überwindung der Reibung benötigte Energieaufwand wird ermittelt, da sich die durch die Last des Körpers entstehende Reibung zwischen Skifell und Schneeoberfläche im Verlauf eines Schritts kontinuierlich verändert. Denn wie jeder weiß, braucht es deutlich mehr Kraft, die Ski aus dem Stand heraus anzuschieben als im Zuge einer stetigen Bewegung. So kann ein Schritt beim Tourengehen in drei Phasen unterteilt werden, der sich zyklisch ständig wiederholt: In der ersten Phase lastet das gesamte Körpergewicht eines Athleten auf dem vorderen Ski – also quasi seinem Standbein – während der hintere Ski kaum belastet wird. In der zweiten Phase wird der hintere Ski nach vorne beschleunigt und das Körpergewicht verlagert sich allmählich über die gesamte Lauffläche. In der dritten und letzten Phase verlagert sich das gesamte Körpergewicht des Athleten auf dem „neuen vorderen Ski“ und stoppt. Auf Basis der im TSA durchgeführten Tests bei einer Steigung von 6 % erlaubten eine Berechnung der laborbasierten Werte zur Fellreibung und den dadurch verursachten durchschnittlichen Energieverbrauch pro Schritt. So konnten die Wissenschaftler unter anderem feststellen, dass beim Skitourengehen bis zu 6.000 Schritte pro Stunde möglich sind.

Testergebnisse – wenn kein einziger Faktor durchrutscht!

Neben dem Reibungseigenschaften der einzelnen Skifelle werden im Labor des TSA auch zahlreiche andere Faktoren gemessen, die sich mehr oder weniger  positiv auf den benötigten Energieaufwand auswirken können. Denn das Überwinden der Bremswirkung im Schnee ist in der Regel nur die eine Seite des Fells. Einen Überblick über die Testergebnisse unter Laborbedingungen stehen hier zum kostenlosen Download bereit.
Einfluss unterschiedlicher Temperaturen
Der gemessene Reibungsenergieverbrauch pro Stunde fällt je nach Temperatur unterschiedlich aus. So verbrennt man bspw. bei einem leichten Renn-Skifell wie dem POMOCA Race im Schnitt 164 kcal/h bei einer Temperatur von -2°C und je tiefer das Thermometer sinkt, umso mehr an Energie wird am Ende benötigt (220 bei -5°C bzw. 253 bei -20°C). Bei Mohair-Skifellen bewegen sich die Werte im Schnitt auf gleichem Niveau, bis auf ein paar Ausreißer, die vermutlich auf das generell etwas höhere Gewicht zurückzuführen sind. Hier können vor allem Skifelle von Colltex, Kohla oder Gekko überzeugen. Deutlich höher fällt der Energieaufwand hingegen bei Mix-Materialien aus (bspw. POMOCA Climb Pro S-Glide mit 144/202/285), sobald die Temperaturen anziehen benötigt der Skitourengeher deutlich mehr Kraft beim Schieben. Die besten Werte liefern hier die Skifelle Pomoca Climb 2.0 sowie Colltex Mix und G3 Momix.
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Fellgewicht – umso schwerer desto Reibung
Die dynamische und statische Reibung sowie die Masse der Skifelle spielen bei Skitouren eine große Rolle, denn sie erhöhen den Widerstand, den ein Athlet bei jedem Schritt überwinden muss. Daher haben sie großen Einfluss auf den Energieverbrauch des Athleten. Die Fellproben wurden mit einer Präzisionswaage mit einer Genauigkeit von 0,001 g gewogen. Im Rennsegment zählt POMOCA mit zu den schwersten Anbietern, während Colltex und Contour deutlich leichtere Produkte auf die Strecke schicken. Die leichtesten Mohair-Produkte liefern Kohla und Contour, während Gecko hier am meisten Gewicht auf die Waage bringt. Demgegenüber können POMOCA und Kohla im Mix-Segment mit Leichtigkeit überzeugen, ganz im Gegensatz zu G3.
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Saugfähig wie ein Küchentuch?
Je nach Material und Behandlung nehmen Skifelle bei warmen Wetterbedingungen und mehr oder weniger nassem Schnee eine bestimmte Wassermenge auf. Die daraus resultierende Gewichtszunahme führt ebenfalls zu einem höheren Energieaufwand. Aufgenommenes Wasser soll darüber hinaus zum „Aneisen“ beitragen (Bildung von Eis- und Schneeklumpen an der Lauffläche). Im „Labortest“ werden die einzelnen Felle hierfür 15 Minuten in Wasser gelegt und anschließend zwei Minuten aufgehängt. Die daraus resultierende Gewichtszunahme wird mit einer Präzisionswaage dokumentiert. Dabei kam heraus, dass vor allem Renn-Skifelle von Contour am meisten Wasser aufnehmen, während die neuesten POMOCA Produkte gerade einmal ein Drittel der Feuchtigkeit aufsaugen. Spitzenreiter bei den Mohair-Fellen ist das Gecko Standard, das nur halb so viel Wasser aufnimmt wie der „Verlierer“ im Test – das Contour Guide. Noch etwas höher fallen die Werte bei Mix-Skifellen aus, wobei gerade hier POMOCA am wenigstens Wasser aufnimmt und das Contour Easy eine deutliche Gewichtszunahme vorweist.
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Haftbarkeit als klebrige Angelegenheit
Skifelle werden an der Lauffläche fixiert, um seitlich nicht zu verrutschen und auch im steilen Gelände für die nötige Sicherheit zu sorgen. Eine gute Haftung ist also essentiell, kann aber auch das Entfernen beim Abfellen erschweren. Deshalb wird in einem weiteren Labortest jene Kraft gemessen, die benötigt wird, um einen an die Ski-Lauffläche geklebten Probe-Fellstreifen (Breite 4,7 cm) abzuziehen. Hierfür wird die Probe befestigt, mithilfe einer 20 kg schweren Gewichtsplatte festgepresst und an einer vertikalen Stütze fixiert. Das Ende des Fells wird an einer sogenannten Wägezelle befestigt und bei einem konstanten Winkel von 90° zwischen Fell und Lauffläche abgezogen. Am Ende der Durchschnittswert aus drei Versuchen als Grundlage für die Ableitung für ein komplettes Fell. Im Rennski-Segment bieten die Felle von POMOCA die beste Haftung, während das Colltex PDG kaum Kraftaufwand nötig werden lässt. Demgegenüber kann Colltex mit seinen Mohair-Produkten überzeugen, während hier Gecko am schwächsten abschneidet. Bei Mix-Skifellen leisten hingegen Colltex Mix und BD GlideLite Mohair Mix den meisten Widerstand.
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Traue keinem Labortest, den du nicht selbst gefälscht hast!

Natürlich könnte nun jedes Testlabor behaupten, dass vor allem jene Produkte herausragend funktionieren, die von einem Hersteller auf den Prüfstand gehoben werden und der zugleich Auftraggeber ist. Um diesem Vorwurf direkt aus dem Weg zu gehen, ließen POMOCA und TSA zusätzlich noch einen subjektiven Feldtest mit unabhängigen Teilnehmern durchführen. Dabei durften sie verschiedene Felle aus den Kategorien Race, Mohair und Mix in einem Testgparcours selber testen. Am linken Ski wurde dabei immer das gleiche Fell (Referenzfell) und am rechten Ski jeweils das zu testende Fell befestigt. Für den Praxistest galt es dann verschiedene kurze Strecken mit unterschiedlichen Steigungen und Geländeprofilen abzulaufen, um die Skifelle hinsichtlich Grip sowie Gleit- und Bremseigenschaften zu untersuchen. Die Eindrücke wurden jeweils nach Vollendung der Teststrecke mithilfe eines Fragebogens abgefragt: Auf einer zehnstufigen Skala von 1=sehr schlecht bis 10=sehr gut galt es die Haftung der Felle (Grip Feeling), die drei Phasen während eines Schrittes (Kick Feeling, Mid Stride Feeling, Sliding Feeling) sowie den Gesamteindruck (Overall Glide Feeling) zu bewerten.
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Interessanterweise fielen die durchschnittlichen Bewertungen mitunter doch recht unterschiedlich aus, was vielleicht auch mit dem individuellen Können, der mitgebrachten Technik oder auch den körperlichen Eigenschaften (Fitness, Gewicht, etc.) der einzelnen Teilnehmer zusammenhängen kann. Dadurch haben die Referenzfell-Vergleiche keine wirklich aussagekräftigen Ergebnisse liefern können, weil die Unterschiede teils doch zu gering ausgefallen sind. Zumindest subjektiv wurde das POMOCA Race Pro Grip von den meisten Teilnehmern als optimal bezeichnet was Grip und Schiebe- bzw. Gleitverhalten betrifft. Zugleich wurde das Contour Race am schlechtesten beurteilt. Als eines der stärksten Skifelle im Mohair-Segment wurde das Colltex Extreme bewertet, das in allen Belangen überzeugen konnte. Eher durchschnittlich bewertet wurde hingegen das POMOCA Climb Pro Mohair. Bei den Skifellen mit Mix-Materialien trumpfte vor allem das Kohla Peak MixMohair groß auf, aber auch das POMOCA Climb 2.0 und das G3 Momix wurden überdurchschnittlich gut bewertet. Demgegenüber kamen das Gecko Standard als auch das Contour Easy eher weniger gut an. Eine Übersicht der Testergbnisse zu allen im Parcours getesteten Skifellen steht hier zum kostenlosen Download bereit.
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Unser Gesamtfazit – gut gerutscht ist halb gestiegen!

Die vom Technologiezentrum Ski- und Alpinsport (TSA) und POMOCA gelieferten Testunterlagen (Ergebnisse Labortest & Feldtest) gewähren einen interessanten Einblick in die Welt der Skifell-Technologie und machen deutlich wie viele Faktoren ein möglichst kraftsparendes Skitourenvergnügen beeinflussen. Als Laie ist es allerdings recht schwierig zu bewerten, inwiefern das ein oder andere Testurteil nun tatsächlich der Realität entspricht. Zu subjektiv ist die Wahrnehmung und zu viele individuelle Unterschiede herrschen zwischen den einzelnen Wintersportlern. Aber zumindest liefern die Daten wissenswerte Fakten über die generellen Eigenschaften der einzelnen Produkte und geben eine Idee davon, was einem im Backcountry erwarten könnte. Denn schlussendlich muss jeder Skitourengeher und Splitboarder selbst in die Aufstiegsspur und seinen eigenen Feldtest absolvieren.
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