Was in den 1970ern mit der zufälligen Entdeckung eines bayerischen Försters begann, wurde zu einem innovativen aber anfangs wenig beachteten Nischenprodukt. Durch jahrzehntelange Entwicklungsarbeit, Praxiserfahrung und Systemoptimierungen hat sich der Lawinenairbag inzwischen zu einem festen Bestandteil der Notfallausrüstung für Freerider und Skitourengeher durchgesetzt. Nun feiert der Lebensretter sein 30jähriges Jubiläum – eine bewegende Geschichte kurz zusammengefasst.
Die Anfänge – 1970er Jahre
Die Geschichte des Lawinenairbags beginnt Anfang der 1970er Jahre durch einen Zufall. Kurioserweise in Zusammenhang eines Jägers und einer toten Gams. Diese war auf dem Rucksack des Oberförsters Josef Hohenester befestigt, als er ein Schneebrett auslöste. Durch das seitens der geschulterten Gams vergrößerte Volumen ging der Förster jedoch nicht in den Schneemassen unter, sondern konnte sich an der Oberfläche halten. Diese Erkenntnis ließ den Bad Reichenhaller nicht mehr los und begann damit, dem beobachteten Phänomen auf den Grund zu gehen. So war er der Erste, der das physikalische Gesetz der sogenannten „inversen Segregation“ auf die Lawine übertrug. Hohenester führte daraufhin weitere Selbstversuche mit Kanistern und Ballons durch und sicherte sich schließlich das Patent für den Prototypen des Lawinenairbags, das damals von der Fraunhofer Gesellschaft gefördert wurde.
Die Systementwicklung – 1980er Jahre
Auch die Entwicklung des Systems begann mit einem Zufall: „Beim Zeitunglesen stieß ich auf einen Artikel, in dem das Patent von der Fraunhofer Gesellschaft zum Kauf angeboten wurde. Es interessierte mich, weil ich beim Heliskifahren in Kanada selbst einen Lawinenabgang beobachtet hatte, der schlimm hätte ausgehen können. Ab diesem Zeitpunkt war ich für dieses Thema recht sensibilisiert und erwarb dementsprechend im Jahr 1980 das Patent“, berichtet der heute 72-jährige Peter Aschauer.
Es folgten Jahre intensiver Entwicklungsarbeit für die neu gegründete und heute weltweit für ihre Lawinenairbags bekannte ABS Peter Aschauer GmbH. ABS steht dabei für „Avalanche balloon securesystem“. „Wir zerbrachen uns lange den Kopf, wie man den Ballon im Ernstfall blitzschnell aufblasen kann. Vielmehr musste es ein System sein, das mir das benötigte Volumen in relativ kurzer Zeit zur Verfügung stellt“, erörtert Aschauer die anfänglichen Überlegungen. 1985 war es schließlich so weit: Auf der ISPO in München präsentierte ABS die erste voll funktionsfähige Airbagtechnologie – ein System, das per Seilzug eine Druckluftpatrone ansticht, die den Airbag anschließend in wenigen Sekunden befüllt. Diese Erfindung stieß jedoch nicht auf die erhoffte Resonanz: „Der Erfolg war bescheiden, die Reaktionen nicht sonderlich ermutigend.“
Spinnerei oder lebensrettende Ausrüstung?
Infolgedessen stellte Peter Aschauer sein ehrgeiziges Projekt in Frage – doch seine Hartnäckigkeit und sein Glaube behielten letztlich die Oberhand. „Gerade in der Anfangsphase muss man von einer Sache zu 100% überzeugt sein und ein gewisses Durchhaltevermögen mitbringen. Es ist einfach sinnvoller, eine Verschüttung zu vermeiden, als diese zu riskieren und zu warten, dass man rausgeholt wird. Diese Idee hat mich nicht losgelassen und den Ausschlag gegeben, dass wir trotz aller Rückschläge immer weitergemacht haben. So begannen wir unter anderem auch damit, an den Tragemöglichkeiten zu arbeiten, denn diese waren noch bei Weitem nicht wirklich ausgereift. Die ersten Rucksäcke waren nicht komfortabel genug und wogen immerhin rund vier Kilo.“
Ende der 1980er-Jahre stellte sich der erste Erfolg ein. Der DAV Summit Club erkannte als einer der ersten den Wert des Systems: „Wir führten den ABS Lawinenairbag 1989 schließlich verpflichtend für alle Teilnehmer der ‚Ski Plus Wochen‘ ein. Zu Beginn waren die Kunden nicht begeistert, doch das änderte sich mit der Zeit – unsere Bergführer standen von Anfang an hinter dem Produkt“, erzählt Günter Sturm, ehemaliger Leiter des DAV Summit Clubs. Weitere Berg- und Skischulen sowie Veranstalter von Tiefschneekursen zogen nach. 1992 führte Peter Aschauer die erste Pressekonferenz im schweizerischen Disentis durch, wo er Dummys verwendete, die mit Hilfe von Lawinensprengungen in ein Schneebrett gerieten – und dank der ABS-Rucksäcke an der Oberfläche blieben.
Der Lawinenairbag wird salonfähig – 1990er
1995 konnte das eidgenössische Institut für Schnee- und Lawinenforschung mit Sitz in Davos für umfangreiche Testserien gewonnen werden. „Das war ein absoluter Meilenstein. Das Institut hat sich sehr engagiert und früh erkannt, welches Potential in unserem System steckt“, konstatiert Aschauer. Die daraus resultierenden Erkenntnisse nutzten er und sein Team für eine grundlegende Adaptierung des Systems: ABS lancierte nur ein Jahr später den „Twinbag“, der später zum Markenzeichen avancieren sollte. Zudem löste die pyrotechnisch-pneumatische Auslösung den zuvor verwendeten Bowdenzug ab. 1998 übernahm die Firma Deuter schließlich die Fortentwicklung der ABS-Rucksäcke und verhalf dem System den lang ersehnten Durchbruch.
2003 entwickelte ABS erstmals einen speziellen Rucksack für die immer größer werdende Freeride-Szene. Die Nachfrage nach Lawinenairbags stieg kontinuierlich an. 2008 wurde dann erstmals die Vario-Line vorgestellt, bei der das Volumen der Rucksäcke durch das Anbringen verschiedener Packsäcke schnell und einfach gewechselt werden kann. Als weitere Innovation gilt die Wireless Activation, die eine funkgesteuerte Fernauslösung des Airbags ermöglicht. Im jahr 2010 folgten dann erstmals Carbonpatronen, die fast 50 Prozent leichter als die sonst üblichen Stahlflaschen ausfallen.
Mit Beharrlichkeit und Durchhaltevermögen zum Erfolg
„Der Beharrlichkeit und dem Durchhaltevermögen von Peter Aschauer ist es zu verdanken, dass das Projekt Lawinenairbag nicht irgendwann mal auf der Strecke geblieben ist“, sagt Bernd Kullmann, der als ehemaliger Geschäftsführer von Deuter ABS viele Jahre lang begleitet hat. „Natürlich macht es mich in einem gewissen Maße ein bisschen stolz, dass sich die Wirkungsweise des Lawinenairbags in der Praxis letztlich doch durchsetzen konnte“, räumt Peter Aschauer ein, „doch wir sind noch lange nicht am Ende angelangt. Wir setzen unseren Weg fort, neue Lösungsansätze zu entwickeln, um das System immer weiter zu optimieren.“
Quelle: ABS Peter Aschauer GmbH