Es war Silvester 2010 als wir in Richtung Sulzau in Österreich aufbrachen, um dort auf einer kleinen Berghütte am Fuße des „Nationalpark Hohe Tauern“ das neue Jahr zu begrüßen. Die Tage bis zum großen Feuerwerk nutzten wir für ausgedehnte Schneeschuhtouren und erkundeten die Landschaft rund um Österreichs fünfthöchsten Gipfel. Eine faszinierende Gegend. Und so einladend zugleich, dass wir uns damals schworen, eines Tages wiederzukommen und den majestätischen Bergthron zu besteigen.
So dauerte es auch nur etwas mehr als ein Jahr bis wir – Eric und Veit vom airfreshing-Team – tatsächlich wieder am Eingang zum Obersulzbachtal standen. Den Blick nach oben gerichtet, wo sich das eigentliche Ziel hinter Bäumen und Bergketten versteckt hielt. Vor den Beiden lag eine Skitour auf den Großvenediger – und ein echtes Abenteuer.
Skitour zum Großvenediger – im Schweiße unseres Angesichts
Nach langer Fahrt von München bis nach Kitzbühel parkten wir unser Auto am Ende des kleinen Örtchens Sulzau. Von hier aus wollten wir dem Gletscher mit Splitboards auf schnellstem Wege zu Leibe rücken. Geplant war ein Zustieg bis auf gut 2.000 Höhenmeter, wo nach einer kurzen Nacht im Biwak am nächsten Tag der Gipfelsturm sowie die Abfahrt zurück ins Tal folgen sollten. Expeditionsfieber kam auf, als wir unser komplettes Equipment vor unserem Vehikel ausbreiteten, um es einem letzten Check zu unterziehen. Vieles wanderte nach kritischer Prüfung wieder zurück in den Kofferraum.
Alles Brauchbare wurde säuberlich in den irgendwie doch zu klein geratenen Rucksack gepackt. Mit dabei war neben Schlafsack, Isomatte und Biwakzelt die übliche Ausrüstung für solch eine Hochtour. Auf ein Seil verzichteten wir dabei bewusst, da bei einer Gletscherquerung zu zweit die Gefahr eines Mitreißens im Falle eines Sturzes größer war, als dass man sich gegenseitig hätte halten können. Etwas mulmig war uns bei dieser Entscheidung dann doch, da hier die Meinungen stark auseinander gehen.
Weniger der Sorgen wegen, als vielmehr aufgrund der warmen Frühjahrssonne lief uns der Schweiß unter der Funktionsunterwäsche in Strömen herunter. Denn die Temperaturen lagen um die Mittagszeit bereits weit im zweistelligem Plusbereich. Dadurch entwickelte sich der Weg durch das Obersulzbachtal zu einer potenziellen Gefahrenquelle. Schließlich stieg mit jedem Grad auch die Möglichkeit von Lawinenabgängen, von denen es offensichtlich in den Tagen zuvor schon ein paar gegeben haben musste.
Zumindest war die Straße an mehreren Stellen blockiert und passierten wir auf unserem Weg nach oben ganze Waldstücke, die umgemäht wie Grashalme am Rand lagen. Mit hochgekrempelten Hosenbeinen stapften wir unbeirrt los und mitten in unser erstes alpines Abenteuer des Jahres 2012 hinein.
Nur Weicheier nehmen das Ski-Taxi in luftige Höhen
Von Sulzau (890m) aus zog sich der Weg auf einer breiten Forststraße teils durch Nadelwälder hinauf in Richtung Gletscher. Elendig lang schoben wir uns am Sulzbach den nie enden wollenden Arnoweg entlang, bis wir schließlich den Hopffeldboden erreichten. Hier begrüßte uns das Eingangstor zum Nationalpark „Hohen Tauern“ mit weit geöffneten Pforten. Von hier aus nahm die Steigung um ein Vielfaches zu und das Gepäck versuchte uns gefühlt wieder zurück ins Tal zu ziehen. Ein Zeichen?
Langsam, aber kraftvoll drückten wir uns Schritt für Schritt weiter, den Serpentinen folgend hinauf bis zur bereits weinterfest verlassenen Berndlalm. Hier machten wir ein erstes Mal Pause und stärkten unsere von der Autofahrt noch müden Knochen. Vor uns eröffnete sich ein enges Tal. Hindurch führte ein schmaler Weg, der sich an der Postalm (1.699m) vorbei zog und stetig ansteigend an Höhe gewann. Fast unbemerkt zehrte er so auch an unseren Kräften.
Nachdem wir die Postalm passiert hatten, ging es erneut steil bergauf. Hochplateau folgte auf Hochplateau und vermittelte uns so das Gefühl, als ob wir auf riesigen Treppen dem Himmel entgegen steigen würden. Nichts als Schnee und Fels. Weit und breit keine Menschenseele. Bis plötzlich aus dem Nichts ein Motorschlitten auftauchte und der darauf sitzende Fahrer verwundert fragte, wo wir denn heute noch hin wollten. Auf die Antwort, dass wir auf halber Höhe biwakieren möchten, verwies er uns nur trocken auf die Notrufnummern der Bergwacht und düste in Richtung Tal davon.
So schnell wie er gekommen war, legte sich wieder Ruhe über die schneebedeckte Hochebene. Wir schleppten uns weiter und bemerkten zunehmend die Last der Höhe, die noch zusätzlich zum Gepäck an unseren Schultern zerrte. Doch die Höhenmeter nahmen im Gegensatz zur Anstrengung nur im geringen Maße zu. Plötzlich donnerte wieder das Schneemobil an uns vorbei, zwei Skifahrer im Schlepptau.
Belustigt winkten sie uns zu und feuerten uns hämisch an. Das also war das besagte Ski-Taxi, das faule „Tourengeher“ den Berg hinaufzerrt und kurz unterhalb der Kürsinger Hütte absetzt. Nicht mit uns. Wir wollten alles aus eigener Kraft packen – die jedoch schneller als gedacht nachließ. Nach einem trotzigem Kraftschub fühlten wir uns beizeiten wieder unglaublich schlapp und ausgepowert, egal ob nun aufgrund des Höhenunterschieds oder wegen des immensen Gewichts auf unserem Rücken.
Biwak in einer „türkischen Zeltstadt“ in Österreich und am Fuße eines 4.000ers
Schließlich gaben wir kurz unterhalb der „Türkischen Zeltstadt“ auf und errichteten unser Biwak im Schutz eines riesigen Felsbrockens. Über 1.300 Höhenmeter und etliche Kilometer lagen hinter uns. Das Thermometer war inzwischen auf locker -7 Grad gefallen und eine sternenklare Nacht kündigte sich an. Nachdem unser Nachtlager – das geniale Vaude Hogan Ultralight – aufgebaut war, wurde der Kocher angeworfen und das Abendessen zubereitet.
Danach mummelten wir uns in die dick gefederten Daunenschlafsäcke von Mountain Equipment, dank denen wir uns zum Glück keine warmen Gedanken machen mussten und uns somit ganz auf den anstehenden Gipfelsturm konzentrieren konnten. Es folgte eine unruhige Nacht im Minizelt, das für zwei männliche Personen dann doch etwas zu wenig Platz bietet.
Verschlafen steckten wir um 5Uhr morgens die Nasen in die ziemlich frische Bergluft. Es war klirrend kalt und der Raureif knisterte bei jeder Bewegung an der Innenseite des Außenzelts. Müde und widerwillig schoben wir uns aus den Schlafsäcken und machten uns an die Vorbereitungen für den Aufstieg. Nach langen Überlegungen und der Schlepperei am Vortag, ließen wir einen Großteil unseres Gepäcks in der Nähe unseres Biwakplatzes zurück. Erleichtert um gefühlt 20 Kilo schoben wir uns weiter in die Höhe und erreichten alsbald die Ausläufer des Obersulzbachkees.
Hier zog es wie Hechtsuppe über die vereiste Ebene. Bloß gut, dass wir unterhalb des Hochplateaus übernachtet hatten, ansonsten hätten wir womöglich gar kein Auge zugetan. Und da tat er sich auf, die „weltalte Majestät“. Die Spitze durch die noch aufgehende Sonne in goldenes Licht getaucht. Was ein Anblick und was für eine Entfernung, die wir noch immer zu bestreiten hatten. Und ab hier sollte es dann erst so richtig spannend werden.
So fühlt sich also ein Halbmarathon auf über 3.000 Höhenmetern an!
Oberhalb der „Türkischen Zeltstadt“, einer flachen Gletscherebene unterhalb der Kürsinger Hütte, kämpften wir uns weiter die vereisten Hänge hinauf. Leider gestaltete sich dieser Abschnitt alles andere als einfach. Die Harscheisen eines der Splitboards wollten einfach nicht richtig greifen und die Felle boten bei solch einer starken Steigung kaum noch Halt. Dadurch musste kommen, was kommen musste. Einer von uns Beiden rutschte seitlich weg und schlitterte mehrere Meter den vereisten Hang hinunter. Nach dem ersten Schrecken und unter lautem Fluchen kämpfte man sich wieder nach oben. Hier herrschen eben doch andere Gesetze, soweit war uns das inzwischen klar geworden.
Allmählich machte sich aber auch das Bewusstsein breit, dass wir uns am Vortag offensichtlich etwas übernommen hatten. Zu viel Gepäck, zu schnell der Aufstieg und obendrein noch eine Nacht ohne ausreichend erholsamen Schlaf. Wir bissen die Zähne zusammen und schleppten uns weiter. Bis auf eine Höhe von rund 3.000 Höhenmeter, den Gipfel immer in Sichtweise. Auch das Wetter hatte sich gegen uns gewendet und zunehmend verschlechtert. Ein unangenehmer Wind kam auf, er uns feinsten Pulverschnee ins Gesicht blies und unser Weiterkommen noch zusätzlich erschwerte. Immer und immer wieder stoppten wir und ruhten uns aus. Denn hier in der Höhe gleichen zehn Schritte einem Halbmarathon.
Auch wer umkehrt, kommt irgendwann irgendwo an!
Kurz unterhalb des Gipfels, das Kreuz zum Greifen nah, gaben wir schlussendlich und rein aus Vernunft unser Vorhaben auf. Selbst der Gipfelgrat war klar zu erkennen. Doch drei uns entgegen kommende Bergsportler warnten uns vor einem aufkommenden Sturm und rieten uns mit Nachdruck zur Umkehr. Unter Berücksichtigung der eigenen Verfassung und des langen Rückwegs mitnichten das wohl Schlauste was wir in dieser Situation hätten tun können.
So kehrten wir auf rund 3.400m dem Großvenediger den Rücken und fuhren auf unseren Splitboards die hart erkämpften Meter wieder zurück ins Tal. Veit verfuhr sich dabei so sehr, dass er orientierungslos zwischen gefährlichen Gletscherspalten umherkurvte, stets auf der Suche nach dem ursprünglichen Weg des Aufstiegs. Aber selbst ein Sturz , langwieriges Ab- und Anfellen auf den Hochplateaus sowie diverse kleinere Zwischenfälle, die den eigentlichen Abstieg fast schon zur Qual werden ließen, konnten uns kaum mehr aufhalten.
Allein die Tortour des Abstiegs war so anstrengend und lang, dass man mindestens einen halben Tag dafür gebraucht hätte. Abgesehen davon, dass am Vortag mehrere Nassschneelawinen abgegangen waren und den Weg stellenweise unpassierbar machten. Eine Lawine rumpelte sogar direkt neben uns den Berghang hinab, blieb aber weit oberhalb von uns liegen. Daher war Eile geboten. Wir strotzten also unserer eigenen Erschöpfung und waren nach gut 4 Stunden wieder zurück am Auto.
Völlig geschafft, aber im tiefsten Inneren auf eine sonderbare Weise zufrieden. So ließen wir die Strapazen hinter uns, genauso wie den Gipfel des Großvenedigers. Doch auch diesmal haben wir uns geschworen, dass wir wiederkommen und uns im kommenden Winter garantiert nicht ein zweites Mal zur Umkehr zwingen lassen werden.