Jemandem ein Versprechen zu geben, bedeutet in der heutigen Zeit kaum noch etwas. Zu schnelllebig ist die Gesellschaft, zu sehr sind die Menschen mit sich selbst beschäftigt. Moral und Zusagen weichen Zeitdruck, Verplichtungen und einer zunehmend unverbindlichen Lebenshaltung. Umso mehr fällt es auf, wenn ein Mensch sein Wort gibt und alles daran setzt, dieses auch zu halten. Wir haben York Hovest im Rahmen der Vortragsreihe „NATIONAL GEOGRAPHIC präsentiert“ auf einer multivisuellen Reise durch Tibet begleitet und waren nicht nur aufgrund der faszinierenden Aufnahmen tief beeindruckt.
Vor allem aber waren es die persönlichen Geschichten dahinter und das Versprechen, welches der Münchner Fotograf dem Friedensnobelpreisträger Dalai Lama im Jahr 2011 gegeben hatte. Das Versprechen, die Schönheit aber auch das Leid von Land und Leuten in beeindruckenden Bildern einzufangen und deren Schicksal hinaus in die Welt zu tragen. Wir haben mit York Hovest über seine Reise durch Tibet, persönliche Grenzen und seine nächsten Projekte gesprochen.
Wenn aus einem Versprechen eine Lebensaufgabe wird.
Zwei Mal reiste York Hovest nach Tibet. Er besuchte verbotenes Terrain, vergessene Orte und Regionen, die normalen Touristen sonst kaum oder gar nicht zugänglich sind. Unterwegs portraitierte er die Menschen und kam in den Höhen des Himalaya bei bis zu -30°C selbst an seine körperlichen und psychischen Grenzen. Hundert Tage lang war der 1978 in Wesel geborene und mittlerweile in München lebende Werbe- und Modefotograf unterwegs, legte dabei insgesamt 5.400 Kilometer zurück und brachte über 9.000 Fotografien und zwölf Stunden Videomaterial mit zurück nach Deutschland.
Genügend Material über ein geheimnisvolles Land und deren buddhistischen Kultur, aus denen Hovest einen faszinierenden und inspirierenden Vortrag geformt hat. Eine Multivision-Show, die selbst „bewanderten“ Zuhörern förmlich den Atem stocken lässt. Wer bisher nicht in die Gunst gekommen sein sollte, den loyalen Globetrotter einmal live zu erleben, der sollte seiner außergewöhnlichen Foto-Expedition in Form seines im Piper Verlag veröffentlichten Bildbands folgen: „Hundert Tage Tibet – Das Versprechen“ ist ein wirklich beeindruckendes Buch, das voller Erlebnisse, wunderschöner Momentaufnahmen und Emotionen steckt, die keinen Leser unberührt lassen dürften. Ein Werk, das nur dank der Menschen vor Ort und deren ungebrochenen Widerstandswillen möglich wurde.
Interview: 12 Fragen an York Hovest zu seinem Bildband „Hundert Tage Tibet – Das Versprechen“
Deine Vorträge dauern im Schnitt 1,5 Stunden. Wie schafft man es, 9.000 Bilder und ca. 11 Std. Filmmaterial so zu raffen, dass man eine Idee von deiner Expedition nach Tibet bekommt?
Es ist tatsächlich unmöglich. Aber die Zeit von knapp zwei Stunden ist auch nicht zu unterschätzen und man kann den Zuschauern schon eine Idee davon geben, was ich auf meiner Reise alles erlebt habe. Natürlich fehlt eine Vielzahl an Details oder einzelnen Fragmenten und wenn es nach mir ginge, würde ich gerne 6 Stunden lang erzählen. Aber ich beschränke mich auf die wichtigsten Hauptereignisse, um meinen Vortrag für die Zuschauer von Anfang an bis zum Ende möglichst spannend zu gestalten.
Klar, so eine große Menge an Informationen kann man gar nicht einbauen. Ich suche aber nach wie vor nach einem Partner, der sich auch traut aus dem unterwegs gesammelten Filmmaterial einen Doku-Film zu machen und es vielleicht durch investigativ gedrehte Elemente zu ergänzen. Und generell steht auch noch die Idee im Raum, einen Youtube-Channel mit Videos zu bestücken oder sogar einen Kinofilm auf die Leinwand zu bringen.
Ursprung deiner 100-tägigen Reise war ein Versprechen. Was wäre eigentlich passiert, wenn du es nicht hättest halten können?
Nach den ersten 60 Tagen meiner Reise nach Tibet sah es tatsächlich danach aus, dass ich mein Versprechen nicht einhalten kann. Was eine wirklich sehr harte Zeit für mich war. Vor allem psychisch, weil ich mein ganz persönliches Ziel schlichtweg nicht erreicht habe. Mit dieser Kapitulation evtl. noch einmal umgehen und erneut bei Null anfangen zu müssen, war extrem hart. Schließlich musste ich meine sämtlichen Kräfte noch einmal mobilisieren, um einen zweiten Versuch zu starten. Mit dem Risiko erneut zu scheitern. Aber ich wollte einfach nicht aufgeben und hätte – wenn nötig – immer weiter gemacht.
Hältst du generell alle deine Versprechen ein?
Ich halte generell alle Versprechen. Es kann zwar etwas variieren, wenn ich mir selbst ein Versprechen gebe. Wenn ich mir zum Beispiel vornehme, mit dem Rauchen aufzugeben, dann kann das durchaus schon einmal etwas länger dauern. Aber Gott sei Dank bin ich seit meiner Reise nach Tibet auch Nichtraucher geblieben, insofern hält dieses Versprechen sogar noch an.
Ein Jahr lang Vorbereitung und volle Konzentration auf ein Ziel. Wieso so viel Zeit im Vorfeld und was hast du alles dafür getan, um fit für dein Vorhaben zu sein?
Klar, ich hab unheimlich viel Sport gemacht. So habe ich zum Beispiel meinen 85 Liter Rucksack mit Wasserflachen vollgepackt und bin damit jeden Morgen quer durch den Englischen Garten in München ins Büro gelaufen. Ich wollte meinen Körper quasi an die Belastungen vorab gewöhnen, damit er mit den Strapazen unterwegs auch klar kommt.
Außerdem musste ich meine Bergstiefel ja auch einlaufen und das geht nicht mal eben zwei Wochen vor meiner Abreise. Ein wirkliches Höhentraining selbst kann man hier in Europa kaum vornehmen, da ist selbst der Mont Blanc noch zu flach. Zumindest hast du nicht viel davon, wenn du dort einmal rauf steigst, da müsstest du schon für ein paar Wochen vor Ort bleiben. Die eigentliche Akklimatisierungsphase fängt also erst im Himalaya selbst an. Aber Berge zu besteigen, ist ein erster und wichtiger Schritt.
Vor allem braucht es aber Trittsicherheit, wenn man in solch gewaltigen Höhen unterwegs ist. Deshalb war ich viel in den Alpen unterwegs und habe diverse Wandertouren, Klettersteige und Eiskletterrouten absolviert. Und dass alles im Sommer wie auch im Winter bei den unterschiedlichsten Wetterbedingungen. Einfach um körperlich fit zu werden. Und der Rest ist tatsächlich nur noch Recherche, Recherche und nochmals Recherche. Hierzu zählt natürlich auch die Zusammenstellung eines Teams. All das hat unglaublich viel Zeit gekostet. Der Behördenkram war demgegenüber das kleinste Problem, denn geregelt wird alles vor Ort in China oder vorab von Agenten.
Verfügst du über alpine Erfahrungen oder hast du dir das alles erst aneignen müssen?
Ich war im Rahmen der Vorbereitung auch viel mit professionellen Bergführern unterwegs, die mir Tipps gegeben und viele Sachen gezeigt haben. Da war vieles absolutes Neuland für mich. Aber das Verhalten in großen Höhen üben, konnten wir natürlich nicht. Zwar war ich zweimal in der Höhenkammer von Globetrotter, aber das eher um die Wärmeleistung meiner Daunenjacke zu überprüfen. Und auch sonst musste ich mir alles mögliche an Wissen erst aneignen und meine alpine Ausrüstung zusammenkaufen. Da war die Kohle natürlich schneller weg als gedacht.
Du hast eine bürokratische Lücke genutzt, um überhaupt nach Tibet einreisen zu können. Was war der Trick?
In den Jahren 2012 und 2013 durfte man nur als Gruppe einreisen, wobei mindestens fünf Teilnehmer aus ein und demselben Land stammen müssen. Da ich aber nur Alleinreisender war, hätte es vier weiterer deutscher Staatsbürger bedürft, die aber nie mit mir unterwegs waren. Mein Agent hat dann einfach irgendwelche Pässe vorgelegt und ich musste auch für insgesamt fünf Personen zahlen. Aber einmal abgestempelt, wissen die Grenzsoldaten natürlich auch nicht was sie machen sollen. Ich habe dann einfach behauptet, dass die anderen vier in Kathmandu sitzen und krank geworden sind, aber nachkommen würden. Die wollen nur das Permit und den Stempel sehen. Und schon war ich drin.
Konntest du dich eigentlich frei in Tibet bewegen oder wurdest du fortlaufend bewacht und vom chinesischen Geheimdienst stets begleitet?
Ganz frei konnte ich mich nie so richtig bewegen. Man muss sich das so vorstellen, als wäre man in so etwas wie einer realen Trueman-Show unterwegs. Man wird ständig überwacht und alle Augen sind auf einen gerichtet. Aber ich konnte mir in Tibet mein eigenes Team zusammenstellen, dadurch musste ich nicht so vorsichtig sein wie jeder normale Tourist. Dennoch durfte ich meinen Begleitern natürlich nie sagen, warum ich wirklich in ihr Land gekommen bin. Aber als ich immer mehr sehen wollte, konnten sie sich irgendwann natürlich denken was der eigentliche Grund meiner Reise ist und wir hatten fast jeden Tag Stress innerhalb des Teams.
Über den gesamten Zeitraum habe ich insgesamt um die 27 verschiedene Personen angestellt – von Guides über Träger bis hin zu Fahrern. Und es war immer ein schmaler Grat, auch für meine Begleiter. Deshalb kam es auch ab und an vor, dass ich manche Ziele alleine angehen musste, um sie nicht unnötig zu gefährden. Mein überzeugendstes Element, um sie dennoch zu manchen Dingen zu bewegen und gewisse Privilegien eingeräumt zu bekommen, waren meistens Geld, Bier und Schnaps. Das funktioniert auf der ganzen Welt.
Foto- und Videomaterial musstest du am Ende deiner Reise über die Grenze schmuggeln. Wieso hat man dir dein Equipment nicht schon bei der Einreise abgenommen?
Wenn du nach Tibet einreist, ist es ja nicht verboten, Kameras dabei zu haben. Du sollst ja durchaus ein gutes Bild davon mit nach Hause nehmen. Gerade deshalb zeigen sie dir als normalen Touristen aber nur die schönen Seiten des Landes. Heikel waren letztlich nur die Bilder und Videos, die im Ausland keiner sehen soll. Und mein Tagebuch.
Was wäre schlimmstenfalls passiert, wenn du entdeckt worden wärst? Und wie ist die offizielle Haltung der chinesischen Obrigkeit dir gegenüber?
Keine Ahnung. Wahrscheinlich wäre ich in den Knast gewandert und hätte versucht, das Auswärtige Amt anzurufen. Aber da das Telefonieren dort unten generell eher schwierig ist, würde ich da vermutlich noch heute sitzen. Natürlich hatte ich mir ein Worst-Case-Szenario mit einer Exit-Strategie zurechtgelegt, aber ohne Empfang bringt dir sowas natürlich gar nichts.
Du bist an deine persönlichen, physischen und mentalen Grenzen gegangen. Was bringt einen Menschen dazu, für ein Versprechen vielleicht sogar sein Leben aufs Spiel zu setzen?
Optimalerweise müsste ich mit einer Gegenfrage antworten: Was bringt einen Menschen eigentlich dazu, dem Dalai Lama solch ein Versprechen überhaupt zu geben? Um ehrlich zu sein, waren es die Umstände. Eine schicksalshafte Begegnung, die mich so geprägt hat, dass ich bereit war, all das auf mich zu nehmen. Ganz nach dem Motto, endlich mal den inneren Schweinehund zu überwinden. Und da das Versprechen eingehalten werden musste, gab es einfach kein zurück mehr. Sportliche Gründe gab es also keine, schließlich bin ich niemand, der auf 8.000er steigt.
Was aber auch eine große Rolle für mich spielte, war ein spirituelles Element. Der Mount Kailash (6.638 m) ist ein sehr spiritueller Ort, an dem man quasi sein ganzes Leben reflektiert und darüber nachdenkt, was habe ich eigentlich die letzten 20 Jahre gemacht. Bei der Umrundung, der sogenannten inneren oder äußeren Kora, stößt man also nicht nur an körperliche Grenzen, sondern kommt auch sich selbst sehr nahe und fragt sich in erster Linie, welcher Mensch man eigentlich ist.
Inwieweit hat dich die Reise verändert und welche Regionen oder Dinge haben dich am meisten beeindruckt?
Man kann und soll unbedingt nach Tibet reisen. Aber ich möchte jeden davor warnen, sich zu viel davon zu versprechen. Das ist nicht mehr das buddhistische Shangri-La was wir im Kopf haben. Man wird dort abgefertigt, als hätte man eine Kaffeefahrt durchs Sauerland gebucht. Alle sehen dasselbe, besuchen denselben Tempel oder heiligen See, sind einmal auf einen Berg gelatscht und fertig. Ich habe dahingehend etwas gänzlich anderes erlebt und dadurch auch viel mehr gesehen. Aber ich würde nicht behaupten, dass es mein Leben verändert hat.
Ich reise viel und natürlich ist immer alles neu, alles spannend und einzigartig. Aber es verändert nicht dein Wesen. Was mich vielmehr geprägt hat, war die Begegnung und die innige Freundschaft zum Dalei Lama selbst. Besonders gefallen haben mir die abgelegensten Gegenden wie bspw. das Königreich Guge. Ein wirklich interessanter Ort, weil man dort durch verlassene Höhlen streifen und ein wenig Indiana Jones spielen kann.
Und wohin geht es als nächstes, wenn du in den Flieger steigst? Tibet ist ja vorerst keine Option mehr für dich?!
Ich fliege nach Südamerika und widme mich meinem nächsten Projekt: 100 Tage Amazonas.
Die Details:
Titel: Hundert Tage Tibet – Das Versprechen
Verlag: Piper Verlag
Umfang: 224 Seiten + ca. 205 Fotos
Format: 27 × 32 cm
ISBN: 978-3-86690-411-8
Preis: 45,00 Euro