Edurne ist das baskische Wort für Schnee – wie treffend, wenn man sich die Geschichte der 1,80 Meter großen Spanierin ansieht, die in eisigen Höhen groß geworden zu sein scheint. Wie eine Hünin steht Edurne Pasaban in der Winterlandschaft des Wettersteingebirges und erläutert gemeinsam mit einem Bergführer den Teilnehmern des GORE-TEX® Blogger Summits wie ein LVS-Gerät optimal zu bedienen ist. Die Frage, ob ein „Lawinenverschüttetengerät“ an einem 8.000er überhaupt Sinn machen würde, wiegelt sie mit einem lässigen Grinsen ab: „Die gigantische Höhe macht jegliche Rettungsaktion an so einem Ort schier unmöglich, da hilft dir sowas gar nichts“.
Erst einen Tag zuvor hatten wir die sympathische Baskin kennengelernt, die bei einem Vortrag ihres Sponsors GORE-TEX® die eigene Entwicklung hin zur Extrembergsteigerin skizzierte und über ihren Erfolg an den 14 größten Bergen der Welt berichtete. Dass die heute 41jährige für diese übermenschliche Leistung viel mehr Opfer bringen musste als man erahnen kann, war zu jenem Zeitpunkt wohl nur ihrer Familie und den engsten Freunden bekannt. Ein biographisch angehauchtes Buch, das in gemeinsamer Zusammenarbeit mit der Münchner Journalistin Franziska Horn entstand und jüngst vom AS Verlag veröffentlich wurde, fördert nun erstmals auch die Schattenseiten von Ruhm, Ehre und Höhenflügen zu Tage. Wir haben das bewegende Buch gelesen und waren tief beeindruckt von einem Menschen, den auf den ersten Blick wohl kaum etwas umzuwerfen vermag – oder vielleicht doch?
Der Gipfel weiblicher Emanzipation oder persönliches Dilemma?
Als erste Frau bestieg Edurne Pasaban am 17. Mai 2010 den letzten Gipfel von insgesamt 14 Achttausendern und wird seitdem in Spanien als Nationalheldin gefeiert. Ganze fünf Mal versuchte sich die großgewachsene Spanierin allein am Shishapangma (8.013m), um im Rennen mit Gerlinde Kaltenbrunner (AUS), Oh Eun-Sun (KOR) und Nives Meroi (ITA) doch noch die Nase vorn zu haben. Hinter ihr lagen zu jenem Zeitpunkt rund neun Jahre bespickt mit ruhmreichen Erfolgen, menschlichen Tragödien und familiären Befreiungsschlägen. 1973 als Tochter eines spanischen Unternehmers in der baskischen Stadt Tolosa geboren, wächst Edurne Pasaban wohlbehütet auf und entdeckt mit 14 Jahren das alpine Klettern für sich. Es folgt der stetige Versuch, sich aus der sicheren Welt der Familie abzunabeln und einen eigenen Weg zu finden – ein Ziel, das für die starke Frau über Jahre zu einer ihrer größten Herausforderung werden sollte.
Viele Jahre kämpft die Extrembergsteigerin mit persönlichen Schicksalsschlägen, für die Anerkennung ihres bergsteigerischen Könnens in einer absoluten Männerdomäne und gegen den rauen Gegenwind. Ein Kampf, der Spuren hinterlässt – körperlich wie auch mental. Als Kind häufig krank und selbstunsicher, erkämpft sie sich Stück für Stück ein eigenes Selbstbewusstsein, bis sie 2005 nach einer Trennung in tiefe Depressionen fällt und sich infolgedessen sogar versucht, das Leben zu nehmen. Doch sie sie kehrt zum Berg zurück, schafft das schier unerreichbare und steht nach dem Mount Everest im Jahr 2001 weitere neun Jahre später auf dem letzten Gipfel der 14 höchsten Berge dieser Erde. Ein parallel absolviertes Studium im Bereich Coaching und Management legt zudem den Grundstein für ein neues Leben danach. Als Businesscoach unterrichtet die starke Frau seitdem Studenten und hält Vorträge auf Symposien und Kongressen, wobei Themen wie das Scheitern und Motivieren nach wie vor eine bedeutende Rolle spielen.
Biographische Fakten in Verbindung mit emotionalen Hintergründen
Zugegeben, auch wir haben die hochgewachsene Baskin anfangs mit etwas „Argwohn“ betrachtet, wirkt Edurne Pasaban auf den ersten Blick doch alles andere als unsicher. Und mit Blick auf die Doku-Filme über ihr bergsteigerisches Schaffen kamen Zweifel daran auf, ob die Extrembergsteigerin auch ohne ihr starkes Team jemals allein hätte auf allen Achttausendern stehen können. Denn mehr als einmal hat sie ihr Leben, ihren Seilpartnern zu verdanken, welche die Baskin zum Teil regelrecht die Berge hinunter und auch herauf geschleppt haben – so der sich hartnäckig haltende Vorwurf in der Alpinszene. Doch dieser Vorbehalt verfliegt sofort wieder, wenn man das Buch von Franziska Horn gelesen hat. So gelingt es der Autorin, sowohl biographische Fakten als auch emotionale Hintergründe gekonnt miteinander zu verbinden, ohne dass Mitleid für eine fast gescheiterte Persönlichkeit entsteht, sondern vielmehr Mitgefühl und Verständnis. Am Ende wird deutlich, dass was zählt ist ganz allein das Team am Berg und nicht der Egoismus. Ein Gedanke, den auch Ute in ihrer Rezension auf zwerg-am-berg.com mit uns teilt. Wer also eine weitere Biographie erwartet, wird glücklichweise enttäuscht und hält ein Werk in den Händen, das es definitiv wert ist zu lesen – sei es als Anregung zur Entwicklung von mehr Selbstbewusstsein oder als spannende Lektüre für passionierte Alpinsportler.
Über die Autorin: Franziska Horn
Franziska Horn, geboren 1966 in München, ist mit einem Bein in den Bergen aufgewachsen, studierte Design und Journalismus und arbeitet nach mehreren Stationen in Redaktion und Chefredaktion seit 2006 als freie Journalistin für deutschsprachige Tageszeitungen, Magazine und Buchverlage über Themen im Bereich Alpinsport und Kultur. Privat und beruflich geht sie vor allem auf Hoch- und Skitouren. Ihr Credo: Die Begegnungen am Berg, die Geschichten, Lebensläufe und menschlichen Dramen der Alpinisten verweisen oft auf tiefer liegende Wahrheiten, die alle Menschen am Berg wie im Tal gleichermaßen teilen können.
Die Details:
Titel: Im Schatten der Achttausender – Das zweite Leben der Edurne Pasaban
Autor: Franziska Horn
Erstausgabe: August 2014
Umfang: 238 Seiten, 45 Abb. ein- und vierfarbig
Preis: 39,80 CHF / 32,90 Euro