Klettern in der Halle oder draußen am Fels liegt seit Jahren mehr als nur im Trend – immer mehr Menschen gehen mit Händen und Füßen die Wände hoch. Wer auch einmal bis ganz nach oben will, braucht sowohl beim Sport-, Mehrseillängen- oder Wettkampfklettern als auch beim Bouldern vor allem eines: optimal passende Kletterschuhe. Aber wozu braucht es überhaupt spezielle Kletter- oder Boulderschuhe und worauf kommt es beim Kauf eigentlich an? Können Kletterschuhe neu besohlt werden und was tut man am besten gegen „Stinkefüße“? Diese und andere Fragen beantwortet Alexander Nicolai, Head of Design & Development bei der Traditionsschusterei LOWA. In unserem „Ratgeber Kletterschuhe“ gibt der studierte Sportwissenschaftler und einstige Triathlon-Athlet wertvolle Tipps, worauf man als Einsteiger oder ambitionierter Klettersportler beim Kauf von „Kletterpatschen“ generell achten sollte. Weitere Tipps findet ihr auch in unserem allgemeinen Ratgeber für Kletterschuhe.
Warum braucht man eigentlich Kletterschuhe?
Ganz einfach, weil man beim Wandern auch nicht mit FlipFlops oder Laufschuhen unterwegs ist, sondern in zum jeweiligen Untergrund passendes Schuhwerk steigt. Zum einen, weil man dadurch grundsätzlich schneller und sicherer unterwegs ist und zum anderen, weil Kletterschuhe einfach das wichtigste Ausrüstungsdetail beim alpinen Klettern, Sportklettern oder Bouldern sind.
Denn dank der sockenartig aufgebauten Schuhe und deren speziellen Außensohle finden die Füße selbst auf kleinsten Tritten und Felsvorsprüngen noch optimalen Halt, wo ein Wanderschuh nur noch ein Klotz am Bein ist. Im Gegensatz zu Bergstiefeln sitzen Kletterschuhe nämlich hauteng am Fuß und bilden quasi eine Einheit mit ihm, wodurch die Fußspitzen zielsicherer platziert und die Kräfte in den Zehen direkt auf den Fels oder die Kletterwand übertragen werden können.
Was gibt es für Kletterschuh-Typen und für welche Aktivitäten sind diese geeignet?
Je nach Einsatzgebiet gibt es verschiedene Arten von Kletterschuhen – vom Genusskletterer wie dem FALCO LACING bis hin zum stark vorgespannten Profi-Modell wie dem neuen ROCKET von LOWA. Die größten Unterschiede finden sich hinsichtlich des Obermaterials, der Materialmischung der Außensohle, die häufig vom Spezialisten Vibram® stammt, sowie der Härte bzw. der Vorspannung der Schuhe. So sind speziell auf Wettkämpfe ausgelegte Kletterschuhe zumeist deutlich stärker vorgekrümmt und erinnern stark an eine Banane.
Auch sind sie in ihrer Verwendung nicht so flexibel wie Allrounder, da diese eher in kurzen Routen geklettert werden, in denen es eher um schwierige und präzise Bewegungen geht. Denn je enger ein Kletterschuh ist und je größer die Vorspannung ausfällt, umso mehr „leidet“ auch der Tragekomfort. Einzelne Modelle verfügen mitunter auch über ein weiches Innenfutter, das mehr Komfort bietet.
Letztendlich sollte ein Kletterschuh-Modell möglichst für jene Routen ausgewählt werden, bei denen dieses am häufigsten zum Einsatz kommen wird. Wer sich also nicht entscheiden kann, greift idealerweise zu verschiedenen Kletterschuhen, da jeder Typ stets seine Stärken und Schwächen mit sich bringt. Anfänger sollten bevorzugt einen bequemen und symmetrisch geschnittenen Schuh mit wenig Vorspannung wählen, während fortgeschrittene Klettersportler eher zu einem asymmetrischen Modell tendieren sollten. Denn dank der enormen Vorspannung – dem sogenannten Downturn – kann die Kraft direkter auf einen Tritt gebracht und auch schwierigere Routen geklettert werden.
Allrounder- & Performance-Kletterschuhe:
Die Alleskönner unter den Kletterschuhen wie bspw. der LOWA Falco oder der LOWA Sparrow für Damen sind vom Leisten her recht breit gehalten und verfügen nur über eine geringe Vorspannung. Dank der etwas härteren, aber dennoch flexiblen Sohlenkonstruktion sitzen die jeweiligen Modelle deutlich bequemer am Fuß und bieten gerade in längeren Kletterrouten oder Mehrseillängen angenehmen Tragekomfort. Der Schnitt ist symmetrisch gehalten und mithilfe des Velcro- oder Schnürverschlusses lassen sich die Kletterschuhe optimal an die individuelle Ergonomie der Füße anpassen. Ein weiches und antibakterielles BioActive-Futter wirkt zudem geruchshemmend.
Spezialisten- & Performance-Kletterschuhe:
Das Material der Sohle dieser Kletterschuh-Kategorie ist meist auf spezielle Kletterdisziplinen hin ausgelegt und sorgt überall dort für optimalen Halt, wo die etwas bequemeren Allrounder längst an ihre Grenzen stoßen. So fällt die Zwischensohle nicht nur etwas weicher aus, sondern ist für eine bessere Kraftübertragung auch stärker vorgespannt. Zusätzliche Unterstützung erhält der Fuß durch einen asymmetrischen Schnitt und ein nach außen hin verlaufendes Schnürsystem wie beim LOWA ROCKET Lacing, mit dem sich die Passform des vorgedehnten Spaltleders anatomisch perfekt an die eigenen Bedürfnisse anpassen lässt. In Kombination mit der Vibram® XS-Grip® Außensohle können dadurch selbst kleinste Tritte gezielt und sicher gesetzt werden – sei es nun in der Kletterhalle oder draußen am Fels.
Wettkampf- und High-Performance-Kletterschuh:
Speziell entwickelt für Boulder-Fans und Top-Kletterer geht es in dieser Kategorie vor allem um perfekte Kontrolle und direkten Kontakt zum Untergrund für eine optimale Kraftübertragung. Dementsprechend verfügen die Modelle wie bspw. der LOWA X-BOULDER oder der LOWA ROCKET über eine sehr starke Vorspannung (Bananenform) und bieten einen ausgeprägten Downturn. Zudem wird auf ein Innenfutter verzichtet und die Passform fällt sehr eng aus, damit der Schuh bei Heelhooks oder Klemmern nicht versehentlich vom Fuß rutscht. Der Druckpunkt des asymmetrisch geformten Leistens befindet sich direkt am großen Zeh, damit ein Großteil der Fußkraft zielgerichtet gesetzt werden kann. Auch die rundum deutlich höher gezogene Vibram® XS-Grip® Außensohle sorgt für beste Performance in anspruchsvollen Routen.
Schnürer, Velcro oder Slipper – hauptsache der Kletterschuh sitzt perfekt am Fuß!
Kletterschuhe sollten idealerweise eine Einheit mit dem Träger bilden und hauteng anliegen, damit nichts wackelt oder der Fuß aus dem Schuh herausrutscht. Neben der passenden Größe spielen somit auch der richtige Leisten und der Verschluss eine nicht unwichtige Rolle. Für eine perfekte Passform und optimalen Tragekomfort sollte dabei auch die individuelle Fußform des Trägers berücksichtigt werden. So gibt es bspw. LOWA FALCO als Schnür- und als Velcro-Version.
Slipper:
Hineinschlüpfen, fertig, losklettern. Diese Modelle sind zumeist aus einem flexiblen Obermaterial gefertigt und mit elastischen Gummizügen ausgestattet, um den Einstieg zu erleichtern.
Velcroverschluss:
Manche besitzen nur eine einzelne große „Schnalle“ wie der LOWA ROCKET, andere wiederrum sind gleich mit zwei oder drei Klettverschlüssen ausgestattet. So lassen sich der LOWA SPARROW oder der LOWA FALCO VCR optimal an die unterschiedlich breiten Fußpartien anpassen.
Schnürschuh:
Wie auch bei normalen Straßenschuhen können diese Kletterschuhe ganz klassisch per Schnürsenkel verzurrt werden. So gibt es die Modelle LOWA ROCKET und LOWA FALCO auch als „Lacing-Version“. Inzwischen werden auch Lösungen mit einem geführten Drahtseil angeboten, das über einen Drehmechanismus (Boa-System) fest angezogen wird.
Gibt es bei Kletterschuhen auch unterschiedliche Leisten wie beim Wanderschuh?
Auch beim Kletterschuh gibt es unterschiedliche Leisten. Neben speziellen und auf die Ergonomie weiblicher Füße angepassten Modellen wie dem LOWA SPARROW, gibt es natürlich auch noch weitere und schmalere Varianten. So wird im Allgemeinen zwischen einer symmetrischen und einer asymmetrischen Sohlenform differenziert. Asymmetrisch, also nach innen gebogen, sind zumeist Kletterschuhe, die bevorzugt von Fortgeschrittenen und Profis sowie bei Wettkämpfen eingesetzt werden. Deren Außensohle besteht in der Regel aus einer weicheren Gummimischung mit besten Reibungswerten, um ein punktgenaues Antreten und eine direkte Kraftübertragung zu ermöglichen.
So ist der LOWA X-BOULDER zum Beispiel kein Langstreckenkletterer, sondern kommt eher in Sportkletter-Routen und beim Bouldern zum Einsatz. Symmetrisch geformte Sohlen wie beim LOWA FALCO sind demgegenüber deutlich komfortabler, allerdings braucht es beim Klettern auch deutlich mehr Kraft, da der Fuß nicht zusätzlich „gestützt“ wird. Sie sind einerseits für Einsteiger geeignet, leisten aber bspw. auch in längeren Routen oder beim Alpinklettern gute Dienste.
Wie wichtig ist eigentlich der individuelle Fußtyp oder die Zehenform bei der Wahl eines Kletterschuhs?
Mit Blick auf die Füße wird klar, dass jeder Mensch auf unterschiedlichen Sohlen unterwegs ist. Dennoch lässt sich die jeweilige Anordnung der Zehen in drei übergeordnete Fußformen gliedern. Als Grundlage der Zuordnung dienen dabei die Geometrie sowie der Längenunterschied von Groß-, zweitem und Mittelzeh. Allerdings besitzen die meisten Menschen eine Mischform aus den verschiedenen Fußtypen. LOWA bietet bevorzugt Kletterschuhe an, die auf den großen Zeh hin und weniger auf die Mitte des Fußes hin ausgerichtet sind. Aus diesem Grund werden sich vor allem Klettersportler mit einer ägyptischen oder römischen Fußform in den einzelnen Modellen der Jetzendorfer Schuhspezialisten wohlfühlen.
Ägyptischer Fuß:
Wichtigstes Merkmal ist der dominante große Zeh, der länger oder zumindest gleich lang ausfällt wie die zweite Zehe. Die restlichen Zehen werden schräg abfallend kürzer. Knapp die Hälfte aller Europäer besitzen diese Fußform, weshalb diese auch sprichwörtlich am häufigsten vertreten ist.
Römischer Fuß:
Erkennen kann man diese Fußform vor allem an mindestens drei gleich langen Zehen. Daher wirken solche Füße auf den ersten Blick recht quadratisch. Ein gutes Drittel aller Menschen in Europa besitzen solch einen „Quadrat-Fuß“, der damit die zweithäufigste anzutreffende Fußform ausmacht.
Griechischer Fuß:
Hier dominiert der zweite Zeh die Fußform, zu dem sich die Länge der restlichen Zehen schräg abfallend anordnet. Diese Konstellation gilt beim Klettern als problematischste Fußform, da der Großteil der Kraft nicht direkt über den Großzeh angesetzt werden kann. Mit weniger als einem Viertel ist diese Fußform in Europa am seltensten anzutreffen.
Was ist bei der Wahl der Größe von Kletterschuhen zu beachten?
Bei der Größe eines Kletterschuhs empfiehlt es sich, immer lieber zu einer halben Nummer kleiner zu greifen. Einerseits, weil dadurch ein versehentliches Herausrutschen verhindert wird, und andfererseits dehnt sich das Obermaterial von Kletterschuhen ohnehin nach einer gewissen Zeit noch bis zu einer kompletten Schuhgröße. Natürliches Leder dehnt sich dabei deutlich stärker aus als Synthetik, wobei eine starke Vorspannung generell weniger Luft nach oben offen lässt. Anfangs dürfen die Kletterschuhe also ruhig noch etwas eng sein und drücken. Durch mehrmaliges Tragen passen sie sich jedoch mehr und mehr an die individuelle Fußform an. Schmerzen verursachen sollte ein Kletterschuh aber auf keinen Fall.
Die Größe der Straßenschuhe dient lediglich zur Orientierung, um die rund 1,5 bis 2 Nummern kleinere Kletterschuhgröße abzuleiten. Allerdings ist diese Faustformel keine Garantie dafür, dass ein Modell auch tatsächlich optimal passt. Denn je nach Hersteller variieren die Größen teils enorm. Italienische Marken fallen zumeist recht klein aus, während andere Anbieter wieder deutlich größer ausfallen. Daher empfiehlt es sich, verschiedene Modelle beim Fachhändler an- und auszuprobieren.
Gibt es irgendwelche Pflege- und Geheimtipps gegen übel riechende Kletterschuhe?
Im Gegensatz zu Wander- oder Freizeitschuhen aus echtem Leder brauchen Kletterschuhe in der Regel keine besondere Pflege, da sie eher selten mit den Wetter-Elementen in Berührung kommen. Lederfett oder Imprägnier-Spray braucht es also nicht, da man zumeist bei trockenem Bedingungen oder in der Halle unterwegs ist. Lediglich gegen den Geruch nach einiger Zeit und mehreren schweißtreibenden Trainingseinheiten gibt es entsprechende Abhilfe. So verwendet LOWA bei manchen seiner Modelle das antibakterielle BioActive-Futter, das geruchshemmend wirkt und überschüssige Feuchtigkeit aufnimmt.
Das probateste Mittel ist ansonsten das generelle Auslüften- und Trocknenlassen. Allerdings sollten die Kletterschuhe hierfür nicht auf die Heizung gestellt werden, da sich das (Leder-)Material ansonsten zu schnell zusammenzieht, unnötig austrocknet und eventuell reißen kann. Alternativ gibt es inzwischen auch sogenannte „Duftkissen“, die man in die Schuhe hineinsteckt und die dank eines gut riechenden Granulats nicht nur die Feuchtigkeit aufnehmen, sondern vor allem üble Gerüche binden sollen. Alternativ sorgen spezielle Deodorants, antibakterielle Sprays oder Fußcremes und Puder für trockene bzw. saubere Füße. Denn in erster Linie sind es Bakterien, die für den unangenehmen Geruch im Kletterschuh sorgen. Gewaschen werden sollten die Kletterschuhe aber auf keinen Fall, da sonst die Verklebungen und Nähte leiden oder sich sogar auflösen können. Lediglich mit einem leicht feuchten Tuch oder einem kleinen Schwamm bzw. einer Bürste können gröbere Verschmutzungen beseitigt werden. Darüber hinaus
Können Kletterschuhe eigentlich neubesohlt werden und wie oft ist so etwas möglich?
Natürlich hängt die generelle Lebensdauer eines Kletterschuhs in erster Linie von der Intensität und der Häufigkeit der Nutzung ab. Bei jedem Einsatz – egal ob nun draußen am Fels oder drinnen in der Kletterhalle – „leidet“ das Material der Sohle und wird zunehmend dünner. Wie bei zwiegenähten Wanderschuhen können auch fast alle Kletterschuhe neu besohlt werden, sofern die Außensohle nicht bis komplett auf das Obermaterial abgetragen wurde und noch ausreichend „Futter“ vorhanden ist.
Denn im Fall einer Neubesohlung wird ein Teil der alten Sohle mithilfe einer Art „Schleifmaschine“ abgetragen, um darauf ersatzweise eine neue Gummischicht aufzubringen. Danach kann kaum unterschieden werden, ob es sich nun um einen neuen oder bereits gebrauchten Kletterschuh handelt. Lediglich der Schaft lässt erahnen, dass das jeweilige Modell zuvor bereits des Öfteren im Einsatz war.
Gut zu wissen: Im Grunde genommen können Kletterschuhe so oft wiederbesohlt werden, wie es das vorhandene Material zulässt. Allerdings bedeutet jede Neubesohlung auch einen Verlust in puncto Performance und Passform. So weitet sich mit jeder „Verjüngungskur“ nicht nur der Schuh, sondern verliert dieser auch an Vorspannung und es braucht deutlich mehr Kraft beim Klettern.